Blumen für den Führer

Autor: Jürgen Seidel
Ein Roman über die Nazizeit, dessen Botschaft zwischen den Zeilen steckt.

Was denkt ihr, wenn ihr mit dem Grauen des Nationalsozialismus konfrontiert werdet? Wie konnte das geschehen? Warum haben alle weggeguckt? Und stellt ihr euch dann vor, wie ihr nein gesagt hättet, wie ihr den Schrecken erkannt und euch ihm entgegengestellt hättet? Romane wie "Die Welle" haben schon eindrucksvoll vorgeführt, wie es - auch heute - zu einer solchen Massenbewegung kommen kann, in der der Einzelne gar nichts mehr hinterfragt, sondern einfach mitgeht. Der Roman "Blumen für den Führer" versucht die Faszination der Naziideologie am Beispiel eines fünfzehnjährigen Mädchens zu beleuchten, das durch eine Verkettung seltsamer Umstände einen märchenhaften Aufstieg in der Nazigesellschaft erlebt.

Die Geschichte kommt zunächst daher wie ein kitschiger Schicksalsroman. Das herzensgute, bildschöne und fantasiebegabte Waisenkind Reni ist in Wirklichkeit die uneheliche Tochter eines einflussreichen Grafen. Ihr Aussehen und ihre noble Herkunft sind der Grund, warum sie auserkoren wird, Hitler bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 öffentlichkeitswirksam einen Blumenstrauß zu überreichen.
Mit von der Partie: Renis unbedarfte Freundinnen im Waisenhaus, die den Führer wie einen Heiligen verehren, eine Erzieherin, die Reni mehr liebt als sie sollte, eine intrigante Heimleiterin, Renis erste Liebe Jockel, der schuldlos zum gesuchten Verbrecher wird, ein alter Kommunist, der die dunkle Zeit aufziehen sieht und jede Menge schmierige Nazis, die in feinen Salons verkehren und es auf blutjunge Mädchen abgesehen haben.

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Der Roman ist auf seltsame Weise mitreißend und dank seiner Zutaten spannend zu lesen. Die Schrecken der Nazizeit aber werden in diesem Roman fast vollständig ausgeblendet. Das Böse lauert nur zwischen den Zeilen und hier und da lugt ein Schatten hervor, wenn eine geliebte Erzieherin entlassen wird oder ein älterer Mann mürrisch eine düstere Zukunft an die Wand malt. Fast scheint es, als wolle Seidel den LeserInnen den vermeintlichen Glanz des "Aufbruchsgefühls" vor Augen führen, den Jugendliche in dieser Zeit empfunden haben mögen, möchte sie in dasselbe trügerische Gefühl versetzen, dem auch Reni erliegt: dass doch alles ganz richtig ist, wie es ist, dass dort etwas Großes entsteht, an dem man beteiligt sein möchte. Dies gelingt ihm gut und für einen Roman, der vor allem Jugendlichen einen neuen Zugang zu diesem Thema bieten will, vielleicht sogar zu gut.

Alle, denen die unvorstellbaren Greuel des Holocaust und des 2. Weltkrieges gegenwärtig sind, werden die Zwischentöne in diesem Buch erkennen. Für sie kann das Grauen hinter den goldenen Zöpfen Renis, dem Geplapper von dichtenden Baronessen und leckeren Häppchen möglicherweise sogar eine besondere Intensität erlangen.
EinsteigerInnen in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte könnten den Roman allerdings wie einen Sissi-Roman lesen, ohne zu verstehen, auf welch perfiden Irrweg die ahnungslose Reni gerät. Somit ist "Blumen für den Führer" definitiv keine Einstiegslektüre, sondern ein Buch, das in den Unterricht gehört, wo es genaustens beleuchtet werden kann.

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Autorin / Autor: Sabine Melchior - Stand: 22. Februar 2010