Vom Piercing Narben bekommen

„Mama, ich will ein Piercing!“ – Auf diesen Wunsch gibt es meist ein „NEIN!“, gefolgt von dem Satz: „Solange ich für dich verantwortlich bin, lasse ich nicht zu, dass du deinen Körper verunstaltest.“

Das sagte auch meine Mutter, als ich ihr mit 15 meinen Plan unterbreitete, mir einen Nasen- und Lippenring stechen zu lassen. Das mütterliche Nein beeindruckte mich gar nicht. Denn immerhin waren es die wilden 90er Jahre und ich so eine Art Neo-Hippie-Punk, (dachte ich jedenfalls). Nur wenige Monate später, im ersten Urlaub ohne Eltern, folgte die Ausführung des revolutionären Aktes.

Mein erstes Piercing: Gleich Nasen- und Lippenring

Was eigentlich ein Sprachurlaub in London sein sollte, wurde damit zum töchterlichen Aufstand gegen die Spießbürgerlichkeit. "Mein Körper gehört mir", dachte ich noch, als ich das schmuddelige Piercing-Studio betrat und nach einem Lippen- und Nasenring fragte. Der glatzköpfige Piercer, der selbst wohl sein bester Kunde war, fragte weder nach Alter, noch nach elterlichem Einverständnis. Ihm schien alles sehr egal zu sein und zog, während er den langen Metallstab durch meine Unterlippe bohrte, nur hin und wieder sehr gleichgültig an seiner Zigarette. Die roch übrigens verdächtig nach Marihuana. Völlig benebelt taumelte ich dann, um zwei beringte Körperöffnungen bereichert, aus dem Studio. Die Schwellungen ließen nicht lange auf sich warten. Wieder zurück in Deutschland war meine Mutter erst entsetzt, dann wütend und schließlich am Telefon, um dem Piercer mitzuteilen, was sie von seinem Vorgehen hielt.

Reaktionen auf die edelstahlbesteckten Löcher

Meine Mutter erlaubte mir schließlich die Piercings. In meiner norddeutschen Kleinstadt war ich die Erste, die so was überhaupt trug. Und das brachte mir auf dem Schulhof den Ruf ein, eine ganze Rebellische zu sein. Auch stieg die Anzahl der Kandidaten, die mich küssen wollten. Toll! Bis ein anderes Mädchen sich den Bauchnabel durchtackern ließ.

Von der Piercingssucht gepackt

Grund genug für mich, es ihr gleichzutun und mir dazu die Zunge piercen zu lassen. Gesagt, getan. Und angeschwollen. Drei Wochen lang konnte ich weder kauen, noch deutlich sprechen oder meinen Speichelfluss kontrollieren. Auch sonst war das Zungenpiercing keine angenehme Sache. Aber ich war jetzt 18 und mich hatte die Piercing-Sucht gepackt. Es folgte die erste Tätowierung: Ein Phoenix auf der Brust, der einer Möwe verdächtig ähnlich sieht. Das missglückte Bild hinderte mich aber nicht daran, mir noch einen Mond in den Nacken und eine Sonne ans Steißbein tätowieren zu lassen. Auch das nächste Piercing ließ nicht lange auf sich warten: Diesmal war es die Augenbraue. Der Ring war nur wenige Wochen später herausgewachsen. Zum Glück erklärte sich meine Freundin bereit, als kostenlose Aushilfs-Stecherin einzuspringen. Mit einer heißen Sicherheitsnadel stach sie mir gleich mehrmals durch die rechte und linke Braue. Die Entzündungen und die Narben folgten alsbald.

Späte Einsicht

Heute bin ich 25 und piercinglos. Zurückgeblieben sind Narben. Und ein Sprachfehler: Ich lisple. Um als Journalistin beim Rundfunk arbeiten zu können, nehme ich nun teures Sprechtraining. Hätte ich als Teenie eine coole Kampfsportart gelernt, wäre ich mindestens genauso aufgefallen. Und es wäre weniger folgenreich gewesen. Darum mein Rat an die Girls von heute: Überlegt euch gut, ob es wirklich ein Piercing sein muss. Zumal mittlerweile jeder eines trägt. Wer wirklich anders sein will, muss schon etwas kreativer sein!

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Autorin / Autor: Tina Groll - Stand: 4. August 2005