Schafskälte

Autorin: Bianka Minte-König

Schafskälte Buchcover

„Schafskälte.“ Der Titel des Buchs und der Schauplatz im ländlichen Norddeutschland lassen dörfliches Idyll und Landromantik vermuten.
Aber schon nach wenigen Seiten wird klar, dass sich hinter Reetdächern und Schafsweiden einiges versteckt, über das besser für immer sattes, norddeutsches Gras gewachsen wäre.

Im Jahr 2008 kommen der Abiturient David und seine Mutter Helen nach Kleinhinneken, ein idyllisches, norddeutsches Örtchen, in dem Helen eine Landarztpraxis übernommen hat. Beide sind sofort verliebt in das urige, friesische Dorf und werden von den Bewohnern herzlich aufgenommen. Aber warum raten ihnen alle davon ab, in die alte Schäferhütte hinterm Deich zu ziehen? Der Ort sei verflucht und bringe nichts Gutes, murmeln die alten Dörfler. Bei David und Helen wirft das Fragen auf, die ihnen aber niemand beantwortet, denn die Dorfbewohner schweigen. Birgt das ländliche Idyll ein dunkles Geheimnis? Alle Spuren führen zurück in den Kältesommer 1956, als während der „Schafskälte“ im Juni eine ganze Schafsherde tot am Deich lag, mit durchgeschnittenen Kehlen. Der Schäfer sei damals verrückt geworden, munkelt man im Dorf. Er habe erst im Wahn seine Schafe abgeschlachtet und sich später in der Schäferhütte aufgehängt. Aber war es wirklich so?

Das Buch ist in viele kurze Kapitel untergliedert, die in Tagebuchform geschrieben sind. Die Einträge von David, Helen und anderen Dorfbewohnern aus der Gegenwart wechseln sich ab mit Berichten aus dem Jahr 1956. Es dauert eine Weile, bis die beiden Erzählstränge zusammenlaufen und der Leser versteht, wie die Ereignisse zusammenhängen. Dabei wird deutlich, dass es um mehr geht, als um das Massaker an einer Schafsherde und den Selbstmord ihres Schäfers.

„LK Geschichte! Zahlen, Fakten und nichts davon berührt dich.“, schreibt die Hauptfigur David in einem Eintrag. „Nicht mal die Interviews mit den Zeitzeugen.“
Es ist dies eine Geschichte, die vom Deutschland der Nachkriegszeit erzählt, von den Wunden, die der Krieg Hitlers in den Seelen der Menschen und ihrer Dörfer hinterlassen hat, über Soldaten, die zwar den Krieg überstanden, aber ihren Verstand und ihre Seele an der Front zurückgelassen haben.
Kleinhinneken, das Dorf in der Geschichte, hat 1956 die äußerlichen Narben des Krieges längst überstanden, die letzten Kriegsgefangenen sind gerade zurückgekehrt. Aber die Wunden des Krieges sind nicht geheilt. Als David und seine Mutter, die Protagonisten des Buches, fast ein Menschenleben später in die alte Schäferhütte ziehen, reißen sie diese alten Wunden wieder auf.

Ich kann das Buch deshalb jedem empfehlen, der sich für das Deutschland der Nachkriegszeit und des Zweiten Weltkrieges interessiert, auch allen, die sich vorher nicht für das Thema interessiert haben. Man muss keine Ahnung von Geschichte haben, um das Buch zu verstehen. Allerdings ist es stellenweise ziemlich heftig, wie das Massaker an den Schafen oder auch Erlebnisse des Krieges geschildert werden.
Wem sowas zu nahe geht, der sollte das Buch nicht lesen. Mich hat es sehr berührt.

*Erschienen bei: Thienemann*

Weiter >>

Autorin / Autor: Sissi - Stand: 16. Mai 2011