An meine Enkeltochter

Einsendungen zum Schreib- und Bilderwettbewerb im Wissenschaftsjahr 2012 - Zukunftsprojekt Erde

24. August 2130

Meine geliebte Enkeltochter,
wir schreiben nun das Jahr 2130. Dein Leben hat gerade erst begonnen, doch meines wird bald enden. Ich werde mein Leben nicht verlängern lassen, wie du mich so oft gebeten hast, denn ich bin bereit zu gehen. Für jeden Menschen ist es einmal an der Zeit zu gehen. Aber bevor ich diese Welt verlasse und in eine andere übergehe – ja, mein Schatz, ich weiß dass du nicht an das Leben nach dem Tod glaubst. Ich sehe wie du die Augen verdrehst und  mich altmodisch nennst – möchte ich dir noch etwas mitgeben. Es handelt sich um etwas Kostbares und ich könnte mir keinen besseren Menschen vorstellen, an den ich dieses Geschenk weitergeben möchte. Was du damit anfängst musst du selbst entscheiden. Vielleicht wirst du den Wert dieses Geschenkes nicht gleich verstehen, vielleicht wirst du es vergessen. Aber irgendwann, wenn du mein Alter erreicht hast und siehst wie die Welt, in der du, mein Engel, aufgewachsen bist, langsam aufhört zu existieren, dann wirst du es verstehen und dich an mich erinnern. Denn meine Welt ist auseinander gefallen. Schritt für Schritt wurde meine Kindheit aufgelöst und ersetzt. Sie nannten es Modernität. Fortschritt um des Fortschritts Willen. Ich nenne es Zerstörung. Und deswegen möchte ich dir das Wichtigste übergeben, dass mir noch geblieben ist: Meine Erinnerung.
Es ist mein letzter Brief. Meine letzte Nachricht an dich. Ich versuche dir zu berichten, in was für einer Welt ich aufgewachsen bin, um dir zu zeigen, was du verloren hast. Nicht aus Bosheit, sondern um dir die Kostbarkeit des Lebens bewusst zu machen. Die Kostbarkeit, die dich wenigstens noch teilweise umgibt, die aber vielleicht deine Enkelkinder nicht mal mehr aus den Geschichtsvirtus erfahren werden.

Du weißt in welchem Jahr ich geboren wurde, dass muss ich nicht noch einmal erwähnen. Die Welt hatte zwei Weltkriege überstanden und kämpfte gegen die Klimaerwärmung und Atomkraft. Als ich aufwuchs, war die Angst vor dem Verfall ständig existent. Die Menschheit trieb sich selber an. Doch was kümmerte es mich? Ich erlebte meine eigenen Abenteuer und rettete die Welt auf meine Weise. Ich war ein Kind mit großen Visionen und langen Tagen. Ich klingelte an den Türen meiner Nachbarn und hatte Spielkameraden, die ich jeden Tag draußen traf. Wir kletterten auf Kirschbäume, spielten Fußball und tauschten Sammelkarten. Ich möchte dir auch von der Sonne erzählen, die auf meinen Kinderbildern gelb war, während sie auf deinen nur noch grau - blau schimmerte. Ich möchte dir vom strahlendblauen Himmel ohne Wolken erzählen und dem Grün des Grases auf dem ich rannte und Purzelbäume schlug. Wir verbrachten unsere Freizeit im Matsch und bewarfen uns noch mit weißen Schneebällen. Der Hausmeister machte uns kleine Eisflächen und wir vertrieben uns die Zeit mit Seilspringen. „Teddybär, Teddybär, dreh dich um. Teddybär, Teddybär mach dich krumm.“

Du glaubst nicht, wie gerne ich dir das beigebracht hätte. Aber dein Vater wollte das nie. Er nannte mich sentimental. Ich liebe deinen Vater, aber er ist zu spät geboren. In einer Zeit als ich selbst gefangen war von all der Modernität und der Originalität dieses Jahrhunderts. Ich will nicht abstreiten, dass mir die Annehmlichkeiten der Rollbahn auf den Straßen und die Luftkissenautos nicht zusagen würden, dass ich die Mücken und Wespen vermisse, oder die kleinen Kakerlaken, die du in den alten Biovitoos gefunden hast.  Aber ich vermisse die Bäume, mein Schatz, ich vermisse den Gesang von Vögeln, das Gefühl im blauen Meer zu schwimmen. Ich vermisse die Freiheit. In der Glaskuppel in der wir nun leben, gibt es das nicht mehr. Meine Welt war bunt. Sie war real. Deine ist grau und besteht aus Beton und Wirklichkeitssimulatoren. Auch wenn du es nicht so empfindest, Liebling: Du bist gefangen.
Schatz, ich will nicht sagen, dass deine Kindheit schlecht war. Du bist glücklich und behütet aufgewachsen. Du hast selten eine unglückliche Stunde verlebt, und dass die Klimaerwärmung noch vor deiner Zeit gestoppt werden konnte, ist sicher auch nicht schlecht gewesen. Aber du hast dadurch etwas verloren. Mehr als Freiheit, mehr als ein dummes Kindheitsspiel an das sich außer mir sowieso niemand mehr erinnert. Du hast Zukunft verloren. Du hast meine Werte verloren, die Werte nach denen ich mich all die Jahre gerichtet habe. Die Mentalität der Gesellschaft hat sich verändert. Präimplantationsdiagnostik, Klonen und Genmanipulationen. Es ist selbstverständlich geworden. Fortschritt um des Fortschritts Willen. Ethische Grundsätze? Moralische Prinzipien? Schon lange passé. Aber mir lag immer die Wichtigkeit der Menschheit am Herzen. Die Wichtigkeit des Menschen als Person und nicht als Teil einer Gesellschaft, die nach konformer Individualität strebt. Du kannst dir Zeit kaufen und wirst nicht krank werden. Du hast die Fähigkeit der Telepathie und du kannst deine eigene Traumwelt erschaffen. Deine Kinder laufen nicht Gefahr mit Einschränkung auf die Welt zu kommen, nein sie können als dein Ebenbild geboren werden. Mir standen diese Möglichkeiten nicht offen. Aber ich habe auch nicht nach Perfektion gestrebt; nur nach dem Überleben und der Schönheit im Unperfekten.
Denn macht all das dich glücklich? Nur weil du nicht weißt, was du damit aufgibst. Ich habe immer daran geglaubt die Welt im Kleinen und nicht im Großen zu verändern, aber getan habe ich doch nichts. Das war der Fehler. Ich hätte es tun sollen. Jetzt bin ich nur eine der vielen alten Frauen, die jammern, wie schön es früher war. Ich könnte noch stundenlang von der alten Zeit schwärmen, aber auch von der Angst erzählen. Wir haben die Klimaerwärmung aufgehalten, aber was haben wir dafür erhalten? Gefangenschaft? Wir haben die Erde gerettet, aber was wenn wir damit die Gesellschaft zerstört haben? Wir hätten einen Weg finden müssen, beides zu erlangen – die gesunde Welt und die funktionierende Gesellschaft. Doch das war niemals das Ziel meiner Generation. Wir wollten immer nur Fortschritt um des Fortschritts Willen.
Ich möchte nicht, dass du los gehst und die Welt veränderst. Ich kann nicht von dir verlangen Dinge zu tun, die ich selbst nicht getan habe. Aber ich möchte, dass du es nicht vergisst. In meinem Nachlass befinden sich viele Dinge von früher. Schau sie dir an, mein Engel, wenn du soweit bist. Und lerne sie kennen. Vielleicht verstehst du dann, was bewahrt werden muss.
Ich liebe dich

Alle Infos zum Wettbewerb

Un-endlich wertvoll - Die Siegerehrung

Endlich ist es so weit!

14. November 2012

Die Jury

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Die Einsendungen

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Autorin / Autor: LadyJanna, 18 Jahre