Was Wörter alles können

Wettbewerbsbeitrag von P.K.K., 15 Jahre

„Super, ach und ich habe eine Eins in Mathe und eine Eins in BWR“, antworte ich freudig als mich meine Mutter fragt wie es in der Schule  war. „Toll, kannst du noch schnell den Müll rausbringen“, das ist ihre Antwort, ernsthaft, toll, nicht mehr. Toll, ist eine scheiß Anerkennung für zwei Wochen Büffeln, einen halben Nervenzusammenbruch wegen Parabeln in Mathe bekommen und dann die blöden Blicke in der Schule, weil ich schon wieder eine Eins hatte. „Klar, mach ich“, schnell  die Mülltüte greifen und raus. Ich hätte etwas sagen sollen, etwas in  der Art wie, nur toll, mehr nicht oder keine Ahnung, irgendwas, das zeigte, dass ich mehr Zustimmung brauche als toll. Na ja vermutlich reagierte ich einfach über, meine Mutter war bestimmt nur genervt von der Arbeit oder so. Den Deckel der Mülltonne hielt ich noch immer in der Hand, als meine Mutter rief „Kommst du zum Essen.“ „Ja“, Tonne zu und schnell wieder rein, bevor meine Mutter noch genervter wurde. Es gibt Lasagne, sie schmeckt umwerfend, so wie immer. „Hast du dir schon überlegt, was du nach deinem Abschluss machen möchtest?". Dieselbe Frage wie immer, nur die Wörter waren anders, wir hatten schon "welche Zukunftspläne hast du?", "was möchtest du später machen?", "schon Iden für nach dem Abschluss?" und noch viel andere  Varianten. Wörter waren so vielfältig und konnten doch dasselbe ausdrücken. „Ja, ich möchte auf das weiterführende Gymnasium in Dresden wechseln und dann studieren.“ „Klingt nach einem Plan, aber glaubst du wirklich, das du das schaffst mit deiner LRS?“, meint meine Mutter mit einem skeptischen Blick. Es war nicht böse gemeint, sondern ein höflicher Schubser, um mir zu sagen, dass ich vielleicht  nochmal darüber nachdenken sollte oder zumindest ein Plan B brauchte. Die Wörter verletzend trotzdem. „Ich kann es ja probieren, wenn es nicht klappt, kann ich ja immer noch abrechen.“ Ich lächelte sie an. „Hast ja recht, aber tust du mir den Gefallen und suchst dir zumindest einen Plan B?“ Sie lächelte ebenfalls. Es war ihre Art, mir ohne  Worte zu sagen, dass sie es mir zutraute. Das Problem war, dass ich die  Worte brauche, dass ich es hören muss, dass sie mir das zutraut. Sie  müsste etwas sagen wie "stimmt, probiere es einfach aus und ich bin  mir sicher, wenn du dir Mühe gibst schaffst du das." Dann hätte ich keinen Zweifel mehr, dann wäre ich mir sicher, dass ich es kann. „Klar, ich schau  mal." Mit den Worten stand ich auf und räumte meinen Teller weg. Dann laufe ich die Treppe hoch und gehe in mein Zimmer. An der Wand  gegenüber hängt mein Kalender mit all den Terminen: Abschlussball, Handball Turnier, Extra Handball Training, Deutsch Schulaufgabe, Geschichtskurzarbeit… . Auf den Großteil freute ich mich tatsächlich, auf die Schulaufgaben und die Kurzarbeiten. Ich hatte Spaß daran, mich abends hin zu setzen und den ganzen Stoff zusammen zu schreiben und  es mir dann mit einer Tasse Tee auf meinem blauen Sessel gemütlich zu machen und alles durchzulesen. Was ich nicht mochte, waren die wenigen Worte, die meine Eltern für die Erfolge in der Schule übrig hatten. Auf den Abschlussball freute ich mich, ich freute mich darauf,  mit meinen Freunden zu tanzen und eventuell ein bisschen über die tiefen Ausschnitte von Larissa und Sara zu lästern, auch wenn ich  wusste, dass man das nicht tat. Worte konnten schließlich verletzten. Auf was ich mich nicht freute, war Handball, es ist nicht so, dass ich schlecht darin bin, aber es macht einfach kein Spaß. In den vier manchmal fünf Stunden in der Woche, die ich mit Handball verbrachte  wollte ich lieber in die Bibliothek oder zu Hause in meinem Sesel lesen, schwimmen gehen, draußen durch den Wald spazieren und  mich mit Freunden treffen. Der Grund, warum ich trotzdem nicht aufhöre ist, dass mein Vater jedes Mal, wenn ich spielte auf der Tribüne sitzt und stolz auf mich herunter lächelte. Mein Blick fällt auf den Termin, der als nächstes stattfinden würde, die Englisch Schulaufgabe, sosehr ich es liebte zu lernen, in Mathe und Englisch war ich einfach eine Naturkatastrophe und meinen Einserschnitt hielt ich nur durch Dauerlernen in den Fächern. Nach Hilfe fragen wollte ich aber auch nicht, dann hielten mich doch alle für blöd und meine Eltern wären sicher nicht stolz auf mich. Ich habe noch zwei Tage bis zur Schulaufgabe, noch zwei Tage, um die Vokabeln und die Grammatik zu wiederholen. Also lieber sofort anfangen. Nach zwei Stunden fühlte ich mich halbwegs sicher in indirekter Rede und dem Passiv im Englischen. Ich hatte mir definitiv eine Pause verdient, ich griff nach meinem Handy  und scrollte durch die Bilder auf Instagram. Am Wochenende hatten alle irgendwas krasses erlebt, waren auf Partys gewesen, bei denen ich nicht  eingeladen war, hatten mit ihren besten Freunden Cafés oder ein Konzert besucht, mich hatte niemand gefragt. So wie immer war ich das Wochenende zu Hause gewesen und hatte gelernt und gelesen, was an sich kein Problem ist, hätte nicht jeder andre irgendwas Cooles gemacht. Nach weitern fünf Minuten Instagram Durchstöbern sehe ich es ein Zitat von Georg Christoph Lichtenberg „Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber so viel kann ich  sagen: Es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“ Darunter war eins von Astrid Lindgren "Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt alles so machen muss, wie andere Menschen." Plötzlich  musste ich lächeln. Schnell griff ich nach meinem leeren Block und riss das Stück Pappe an der Rückseite ab, dann nach meiner bunten Notizzettel Sammlung und meinem Fineliner. Dann begann ich die Zitate auf die Zettel zu schreiben und aufzukleben. Ich suchte nach weiteren Zitaten und Sprüchen, um das Plakat zu vervollständigen. Nach einer halben Stunde lag vor mir ein Stück Pappe, das über und über mit grünen, gelben, blauen, orangen und violetten Papieren beklebt war. Bei dem Anblick musste ich einfach lachen, es ist nicht so, dass ich selten lache, aber das gerade war einfach anders,  als ob ich gerade aus einem dunklen Zimmer in einen hellen Raum getreten wäre und aus Freude darüber einfach lachen müsste. Ich stehe auf und  hänge das Plakat neben meinen Kalender, dann greife ich nach einem Stift und streiche das Handballspiel sowie das Extra Training aus dem Plan, danach gehe ich zu meinem Computer und melde mich für das Schwimmtranig an, das jeden Donnerstag stattfindet. Klar würde es meinem Papa besser gefallen, mir beim Handballspielen zuzuschauen, aber daran hatte ich nun einmal keinen Spaß und bei Schwimmwettkämpfen konnte er genauso zugucken. Mein Blick wandert wieder zu meinem Plakat. Wörter hatten Macht, sie konnten aufbauen wie das Zitat und sie konnten verletzen, aber dieses Wort durfte man einfach nicht an sich heranlassen. Bei dem Gedanken wurde mein Lächeln breiter und ich packte mein Englischzeug weg, eine Drei oder Zwei in der nächsten Schulaufgabe reicht auch vollkommen aus. Ich würde jetzt in die Bücherei gehen und vorher vielleicht noch schnell beim Bäcker vorbeischauen und einen Cappuccino trinken. Als ich schon draußen war und gerade mein Ohrstöpsel reinstecken wollte, kam mir der Gedanke, dass ich nicht über Larissa oder Saras Ausschnitt lästern würde, sondern lieber einen netten Kommentarzu ihrem Haaren abgeben würde. So nach dem Prinzip, wer nichts Gutes zu sagen hat, schweigt oder sucht etwas Gutes, über das er reden kann.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: P.K.K., 15 Jahre