Zugfahrt

Wettbewerbsbeitrag von Fine, 24 Jahre

Warum ist es für einen geringen Teil der Menschheit nicht bestimmt, Glück zu empfinden? Glück ist für die Mehrheit ein subjektives Gefühl, nur eben nicht für diese kleine Gruppe, diese wenigen Individuen. Für mich, eine Person dieser kleinen Gruppe, ist es eher ein kollektives Konstrukt eines Gefühls. Ich lerne seit Jahren von Personen in meinem Umfeld, bei welchen Ereignissen man sich freut und wie man sich freut, denn ich kann für mich kein subjektives Gefühl namens Glück feststellen. Ich fühle Wut, Trauer, Neugierde, Aufregung, vielleicht sogar Zufriedenheit und von Angst eine ganze Menge. Freude ist etwas schwieriger für mich, nicht so unmöglich wie Glück, aber nah dran. Wenn mir eine Nachricht mitgeteilt wird, die in der breiten Masse ein Gefühl von Glück auslösen würde, empfinde ich oft Unsicherheit und ein kurz darauffolgendes Gefühl von Scham. Früher habe ich die Menschen mit einem schrägen Kopf angeschaut und Laute ausgestoßen, wahrscheinlich hat das mehr an Balzlaute von Schimpansen erinnert, mein junges Ich dachte, Freude spiegeln zu können. Lange dachte ich, dass andere in diesen Situationen auch leere Körper haben. Naja, so viel dazu. Mittlerweile kann ich solche Situationen besser vorhersagen und mich vorbereiten und auch die Leere selbst ist weniger überfordernd. Ich glaube, man kann lernen, sich zu freuen und ich habe in dem Bereich deutliche Fortschritte gemacht.

Glück wiederum war bei Freude nie dabei. Oft finde ich mich in Tagträumen wieder, mit denen ich trainiere, einem Gefühl von Glück ganz nah zu kommen. Ich frage mich, ob man, in diesem Fall ich, das ~80 Jahre lang machen kann. Ich werde es wohl erst am Ende wissen und das ist auch in Ordnung. Das wichtigste ist, dass ich mich und mein Leben liebe, vielleicht auch eben ohne Glück. Warum ist denn auch dieses eine Gefühl so viel präsenter und wichtiger als alle anderen. Wäre das Leben von Pseudo-Philosophen und Life-Coaches in schlechten Büchern beschrieben worden als: „EINE LANGE REISE HIN ZUR ANGST!“, „WIE WERDE ICH NERVÖS?“ und „MIT SCHLAFLOSIGKEIT HIN ZUR VERZWEIFLUNG“, erhielte ich den ersten Preis und würde auf dem Siegertreppchen meinen Eltern danken. Es geht zwar nicht immer um Wettbewerb, aber manchmal würde ich auch gerne einen Preis im Bereich „positive Gefühle“ gewinnen. Es sind immer andere, die resistent gegen Stress oder fröhlich und auch unbeschwert sind. Wenn man mich beschreiben müsste, würde man sagen „Dir hätte ich das echt nicht zugetraut und vielleicht war es doch auch zu viel für dich“ oder auch „Weißt du Fine, Angst ist ja eigentlich evolutionär wichtig und hilft uns beim Überleben“ – Ich verstehe, als Neandertalerin wäre ich älter als mit-Säbelzahntigern-ringende Idioten geworden… aber wie wahrscheinlich ist es, dass meine Angst recht hat und im Keller wirklich Raptoren auf mich warten, um mich zu töten.

However – weiter im Text: Stressresistent sieht ganz sicher anders aus und auch Leichtigkeit ist nicht mein zweiter Vorname, aber immerhin versuche ich es immer wieder. Ich habe mich öfter beim Meditieren/Mantra vor dem Spiegel vorsagen/Optimistisch-denken bescheuert gefühlt als ein Junge vom Dorf volltrunken „Dicke Titten, Kartoffelsalat“ oder fälschlicherweise „Depp, Depp, Depp, Johnny, Johnny“ singen kann. Wer vom Dorf kommt, weiß, etwas noch öfter zu machen ist quasi nicht möglich.
Mal was anderes: Ich glaube in meinem letzten Leben war ich wahrscheinlich ein Kaninchen oder noch schlimmer – ein Huhn. Irgendein Tier was gelernt hat, alles und jeder will mich zu verschiedenen Anlässen töten. Dann würde es mich nicht wundern, warum ich eine Angststörung habe, die sich gewaschen hat. Im Gegenteil zu meiner Angststörung, habe ich mich in meiner schlimmsten Zeit nicht mehr gewaschen. Warum? Ich hatte Angst, dass ich, sobald ich aus meinem Bett aufstehe und ins Bad gehe, erschossen, in Stücke gerissen oder bei lebendigem Leibe verbrannt werde. Ja das ist schon was Komisches mit der Angst. So irrational, – oder? – Aber, je schlechter es mir ging, desto besser wurde meine Körperhygiene, weil GUESS WHAT: Bei lebendigem Leib verbrannt werden nicht mehr die schlimmste Option war.

Tja, Ängste haben es eben in sich und ich habe viele von ihnen in mir.

Vielleicht war das jetzt genug versucht-philosophische Nachricht an mich – geil, dann wird jetzt wieder entspannt und in Selbstmitleid gebadet, während ich mit Tränen in den Augen, auf die Unterlippe beißend aus einem fahrenden Zug schaue und Adele mir leise ins Ohr singt „Should I give up or should I just keep chasing pavements, even if it leads nowhere…“

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Verwandelbar - Die Lesung

Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Fine, 24 Jahre