Wie man Wunder wachsen lässt

Autorin: Tae Keller
Übersetzt von: Susanne Hornfeck

In Zeiten, in denen psychische Erkrankungen längst kein Tabuthema mehr darstellen, zeigt die US-amerikanische Autorin Tae Keller einen neuen Gesichtspunkt der Folgen des Leidens auf: die Rolle als Angehöriger.
Natalie, eine eigentlich lebensfroh anmutende Siebtklässlerin, muss eines Tages feststellen, dass ihre Mutter aufgehört hat zu lachen, zu arbeiten und das Leben zu genießen. Zu den alltäglichen Konflikten im Freundeskreis, dem Finden der eigenen Identität zwischen Schule, Kulturvielfalt und dem Dasein als Therapeutentochter kommt nun der Umgang mit einer lethargischen Mutter und einem Vater, für den die Grenze zwischen Patientin und Tochter zu verschwimmen scheint. Durch einen Wissenschaftswettbewerb glaubt Natalie schließlich, die Lösung für ihre Probleme zu finden – welche sie mit der Hilfe ihrer Freunde anstrebt.

Tae Keller gelingt es in ihrem Jugendbuch, Themen wie Verlust ohne Tod, Freundschaft, Alltagsprobleme eines Teenagers, Herkunft und psychische Krankheiten anzusprechen und ihnen somit Aufmerksamkeit zu verleihen. Auch zeigt sie, dass das Leid der Mutter zwar allgegenwärtig, nicht aber alles einnehmend ist. Nichts ist nur schwarz und weiß. Natalie lebt ihr Leben weiter, ist noch zu einem Alltag voller positiver und negativer Emotionen fähig und das trotz der schwierigen Situation. Dass die Schilderungen dabei realistisch bleiben, zeigen Natalies Zusammen- und Wutausbrüche, das Festklammern des Vaters an Traditionen, sie leben weiter. Nur eben anders. Somit kann meines Erachtens die Absicht des Buches als „Mut machend“ beschrieben werden.

Dennoch stellt sich szenenweise die Frage, ob die Autorin nicht zu viele Themen angeschnitten und nicht zu Ende gebracht hat. So wird mehrmals erwähnt, dass Natalies Vater seinen koreanischen Wurzeln ablehnend gegenübersteht, ihre Freundin die erste große Liebe kennenlernt und nebenbei mit dem Verhältnis der getrennten Eltern hadert und Natalie selbst ihren Platz im Freundeskreis und den Kulturen ihrer Familie sucht – nie aber ein Ergebnis präsentiert, was zu oftmals flach und einseitig scheinenden Charakteren führt. Auch wirkt das Verheimlichen der Therapiesitzungen seitens der Protagonistin wie eine Erfolgsstrategie, sodass meiner Meinung nach an dieser Stelle nicht gegen das Stigmatisieren der Behandlungen gearbeitet wird. Dass diese nur einer von vielen Töpfen auf dem Herd ist, zeigt sich auch am Ende des Romans, wenn sich sämtliche Probleme überstürzt und nach nur einer Therapiesitzung in Luft aufzulösen beginnen. Aussprachen erfolgen nicht, selbst wenn eine nicht rationale (nicht wertend gemeint, denn in Natalies Situation ist keine 100-prozentige Rationalität zu erwarten) Handlung, wie beispielsweise ein Einbruch, vorangeht. Leider fehlt mir persönlich daher die tiefgründige Recherche, die ich bei einem Buch mit einem so sensiblen Thema erwartet und als Leser als wünschenswert empfunden hätte.

Alles in allem ist das Buch, dessen Cover an eine Mischung aus Autobiografie und Mädchenroman erinnert und somit im Trend liegt, bedingt weiterzuempfehlen – nicht nur für Mädchen. Die Rolle, in der sich die Protagonistin wiederfindet, bringt eine enorme Belastung mit sich, welche die Autorin oft realistisch darstellt. Aus diesem Grund würde ich persönlich die Empfehlung an Jugendliche und Erwachsene ab 14 Jahren richten, denn das Buch unter Jugendbuch zu führen, enthält es einem Publikum vor, das ebenso von den (nicht unbedingt musterhaften) Einblicken profitieren und somit ein Stück weit gegen das Stigma angehen kann.

*Erschienen bei KJB*

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Autorin / Autor: Alina - Stand: 2. Juli 2018