In der Schusslinie

Autorin: Silvana Gandolfi
Ab 14 Jahren
256 Seiten

Buchcover In der Schusslinie

Der sechsjährige Santino lebt mit seinen Eltern und Großeltern auf Sizilien; auch wenn die Familie nicht wohlhabend ist, kommt sie gut über die Runden. Als dann jedoch der Vater seine Arbeit verliert und Santinos Vorkommunion ansteht, lassen sich Vater und Großvater auf dubiose Geschäfte ein, um das Geld für die Feier aufzubringen. Ein Handel geht schief, sie ziehen den Zorn der sizilianischen Mafia auf sich, und Santino wird schließlich Zeuge des Mordes an beiden in einem abgelegenen Bergdorf.
Wie durch ein Wunder wird der Junge gerettet, doch als er sich im Krankenhaus von seinen Verletzungen erholt hat, weigert er sich zunächst, zu den Mördern auszusagen – er hat das Schweigegebot der Mafia bereits verinnerlicht und weiß, dass seiner verbliebenen Familie eine grausame Rache droht, wenn er Namen nennt. Schließlich jedoch redet er; einer der Mörder kann umgehend gefasst werden, doch der zweite ist untergetaucht. Santino und seine Mutter müssen nun selbst fliehen: Sie werden in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen, bekommen eine neue Identität und werden nach Livorno in Norditalien umgesiedelt.
Fünf Jahre später: Lucio, wie er sich nun nennt, leidet noch immer unter dem Trauma seiner Kindheit – seine eigene Schwester Ilaria, die wenige Monate nach der Flucht geboren wurde, kennt nicht einmal seinen richtigen Namen und seine Mutter, die befürchtet, dass die Mafiosi einen Fluch über sie ausgesprochen haben, ist depressiv und verlässt nicht mehr die Wohnung.
Gerade aus diesem Grund ergreift den Jungen auch die Panik, als er eines Tages mit Ilaria vom Spielen nach Hause kommt und die Wohnung leer vorfindet. Für ihn gibt es nur eine mögliche Erklärung: Der Clan muss ihr Versteck aufgespürt und seine Mutter entführt haben. Sofort macht sich Lucio mit seiner Schwester auf den Weg nach Sizilien, um dort mit dem Untersuchungsrichter Francesco Kontakt aufzunehmen, der seinen Fall fünf Jahre zuvor behandelt und das Vertrauen des Jungen gewonnen hat.
Es stellt sich heraus, dass keine Entführung stattgefunden hat – gemeinsam mit Francesco gelingt es Lucio, herauszufinden, dass seine Mutter in Sicherheit ist. Noch am gleichen Abend soll ein privates Flugzeug Lucio und Ilaria zurück aufs Festland bringen. Doch nun, da er in Sizilien ist, stürmen noch einmal die Erinnerungen an den lange zurückliegenden Mord auf Lucio ein – und darunter sind Erinnerungen, die eine Ergreifung des Täters plötzlich wieder möglich erscheinen lassen ...
In den ersten beiden Dritteln des Buches wechseln die Kapitel zwischen der Gegenwart Lucios und den Erlebnissen des kleinen Santino ab; der Leser bekommt so einen guten Einblick in die beiden unterschiedlichen Identitäten, die der Junge in sich vereint. Die Handlung ist packend erzählt, durch die häufigen Perspektivwechsel und entsprechenden Unterbrechungen der Geschichte wird die Spannung kontinuierlich aufrecht erhalten. Obwohl die Handlung fiktiv ist, sind die Hintergründe der italienischen Mafia anschaulich und glaubhaft dargestellt; die Autorin nimmt in einem kurzen Vorwort hierzu explizit Stellung.
Auch wenn einige Stellen des Buches – etwa durch äußerst unwahrscheinliche Zufälle oder recht abwegige Gedankenblitze Lucios – sehr konstruiert wirken und der Schluss einige interessante Handlungsfäden leider nicht zu Ende führt: Eine in jedem Fall empfehlenswerte Lektüre über ein Thema, dass in der Jugendliteratur eindeutig noch zu wenig Beachtung gefunden hat.


*Erschienen im Carlsen Verlag*

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Autorin / Autor: fabienne - Stand: 21. September 2012