Ihr sollt (nicht) schweigen

Autorin: KYRIE MCCAULEY (übersetzt von UWE-MICHAEL GUTZSCHHAHN)

Für Beck hat dieser eine Tag alles verändert. Obwohl sie nicht verletzt wurde, fühlt sie den Schmerz. Obwohl sie sie nicht hörte, hallen die Schüsse immer noch in ihrem Kopf. Denn ihre beste Freundin Cassie ist nicht mehr da. Sie wurde von ihrem Ex-Freund getötet, der bewaffnet in die Schule gestürmt ist. Auch für Vivian ist seit diesem Tag nichts mehr so, wie es mal war. Denn sie hat nicht nur Cassie verloren, sondern auch die Zukunft, die sie so perfekt geplant, und für die sie so hart gearbeitet hatte. Doch ein Schuss in ihr Bein, und ihre Karriere als Läuferin war vorbei. Obwohl Beck und Vivian sich früher ständig in die Haare gekriegt haben, bringen die Wut und der Schmerz, ohne Cassie weiterleben zu müssen, die beiden einander näher. Sie entscheiden, dass mehr passieren muss. Es reicht nicht, dass Nico im Gefängnis sitzt und auf seinen Prozess wartet. Denn er ist nicht der Einzige, der verantwortlich ist: Da gibt es den Sheriff, der Cassie nicht ernst genommen hat, als sie die Gewalt und Drohungen von Nico angezeigt hat. Da gibt es die Waffennarren in der Stadt, die ihr Recht auf Waffen höher bewerten, als das Leben einer jungen Frau. Und da gibt es die ganze Kleinstadt Bell, die auf die Steuern und Spenden von „Bell Firearms“, dem größten Arbeitgeber der Stadt, angewiesen ist. Und deren Besitzer Steve Bell ist ausgerechnet Nicos Vater.

Also heizen Vivian und Beck die Stimmung immer weiter an, bringen Cassie und ihr Schicksal ins Gespräch, bis niemand in Bell mehr die Augen vor dem verschließen kann, was passiert ist. Doch die beiden haben sich einen mächtigen Gegner ausgesucht, dem jedes Mittel recht ist, um seinen Ruf und seine Firma zu schützen.

Kyrie McCauley verbindet in „Ihr sollt nicht schweigen“ gleich mehrere wichtige gesellschaftliche Themen miteinander: Zum einen geht es um Waffengewalt und allgemein um die Verbreitung von Schusswaffen, sowie die unkontrollierbare Gefahr, die von ihnen ausgeht. Zum anderen geht es um Gewalt gegen Frauen, genauer gesagt um Gewalt gegen Partnerinnen und Ex-Partnerinnen. Während das Thema Waffengewalt vor allem in den USA eine große Rolle spielt und immer wieder für hitzige Debatten sorgt, ist Gewalt gegen Frauen auch in Deutschland ein großes Problem: Jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es (Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/gewalt-in-deutschland-jeden-tag-versucht-ein-mann-seine-100.html). Doch McCauley hat kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman. Und dieser Roman erzählt nicht etwa die Geschichte von Cassie und Nico, wie ich es zunächst erwartet hatte, sondern er erzählt die Geschichte von Vivian und Beck, die ohne Cassie zueinander finden müssen, um zwischen Schmerz und Wut ihren eigenen Weg zu gehen. Damit bietet „Ihr sollt nicht schweigen“ einen anderen Blick auf die Dinge, als die meisten vergleichbaren Bücher. Einerseits hat mir diese ungewohnte Perspektive gut gefallen, andererseits hatte ich dadurch auch das Gefühl, einen Teil der Geschichte verpasst zu haben. Der Autorin gelingt es zwar, auch Cassies Perspektive aufzunehmen, allerdings bieten diese Bruchstücke kaum mehr als einen flüchtigen Einblick in Cassies Gefühle und Gedanken.

Insgesamt hat mir „Ihr sollt nicht schweigen“ wirklich gut gefallen – allerdings kommt es, was die Spannung und Entwicklung der Handlung angeht, nicht an viele vergleichbare Romane heran. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass McCauley keinen Thriller oder Krimi geschrieben hat, der die Beziehung von Cassie und Nico begleitet, sondern einen Roman, der erzählt, was danach passiert.

*Erschienen bei dtv*

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Autorin / Autor: lacrima - Stand: 30. August 2023