Als ich dich suchte

Autor: Lauren Oliver
übersetzt von Katharina Diestelmeier

Buchcover

Eigentlich versteht Nick sich sehr gut mit ihrer kleinen Schwester Dara. Obwohl sie sehr verschieden sind, sind sie eher Freundinnen als Schwestern. Nick ist eine gute Schülerin, brav, unauffällig. Dara hingegen geht gerne feiern, achtet sehr auf ihr Äußeres und zieht die Blicke aller Jungs auf sich. Das hat nie zu Konflikten zwischen den beiden geführt – bis Dara sich ausgerechnet Parker als das neue Objekt ihrer Begierde auserwählt, denn Parker ist seit Kindertagen Nicks bester Freund. Natürlich kann Parker der hübschen Dara nicht widerstehen, und doch ist seine Beziehung zur kleinen Schwester seiner besten Freundin nicht so harmonisch, wie sie scheint. Doch lange kann Dara sich darüber keine Gedanken machen, denn nur kurze Zeit später wird sie bei einem Autounfall schwer verletzt und ist für immer gezeichnet. Am Steuer saß ausgerechnet ihre eigene Schwester, die seitdem von Schuldgefühlen geplagt wird. Dieser Vorfall verändert alles zwischen den beiden. Sie reden nicht mehr miteinander, gehen sich komplett aus dem Weg, obwohl sie im gleichen Haus wohnen. Als Dara an ihrem Geburtstag einfach so verschwindet, ist Nick eigentlich nicht überrascht. Doch dann entdeckt sie eine Verbindung zwischen ihrer vermissten Schwester und einem anderen Mädchen, dass vor einigen Wochen in ihrer Stadt verschwunden ist. Und auf einmal wird ihr klar, dass ihre Schwester ihre Hilfe braucht. Doch wie findet man einen Menschen, mit dem man seit Monaten kein Wort gewechselt hat, dessen Leben so ganz anders verläuft als das eigene? Nick macht sich auf die Suche, und findet mehr heraus, als sie eigentlich wollte.

Obwohl dieses Buch einige Elemente eines klassischen Jugendromans aufweist (Schwestern, Liebesbeziehung, Unfall/schlimmer Vorfall), ist es doch etwas Besonders und lässt sich nicht wirklich in eine der typischen Schubladen stecken. Die Erzählung hat mehrere wesentliche Ebenen, die einerseits unabhängig voneinander, aber andererseits doch verbunden sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen gelingt es hier, die Geschichte unvorhersehbar zu gestalten (bis auf die Dinge, die bereits im Klappentext verraten werden). Es ist nicht möglich, den Verlauf der Geschehnisse zu erahnen, da sich die Geschichte kaum mit anderen vergleichen lässt. Dadurch ist der Roman durchgehend spannend und fordert die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Beim Lesen empfindet man eine gewisse Dringlichkeit, als ob man jederzeit auf das fehlende Puzzleteil hofft, das die Auflösung bedeutet und die Spannung abfallen lässt. Diese Dringlichkeit kommt auch dadurch zustande, dass das Buch im Präsens und aus der Ich-Perspektive geschrieben ist. Es gibt keinen allwissenden Erzähler, der dem Leser Informationen zuspielt, stattdessen erfährt man nur, was die handelnde Person erfährt. Dafür erhält man aber auch einen Einblick in ihre Gefühlswelt, was hier wirklich einen gelungenen Beitrag zur Gestaltung der Erzählung liefert; der Roman gewinnt an Tiefe und wird viel packender, ohne allzu offensichtlich auf Spannung aus zu sein.

Außerdem wird die gesamte Geschichte als eine Art Collage erzählt: Es gibt nicht nur Abschnitte aus Nicks und Daras Perspektive, sondern auch Tagebucheinträge, Emails und Zeitungsartikel, die die Erzählung ergänzen. Das ist wirklich etwas Besonderes und hier, wie ich finde, auch sehr gelungen umgesetzt. Es gibt nur einen einzigen kleinen Kritikpunkt, den ich erwähnen möchte: An manchen Stellen werden englische Phrasen ins Deutsche übersetzt, die man wohl besser im Original wiedergegeben hätte. So zum Beispiel das übliche Schild vor Bars oder Clubs "No shoes, no shirt – no service", das in diesem Roman als "Keine Schuhe, kein Hemd – großes Problem" übersetzt wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die überwiegende Mehrheit der jugendlichen Leser kein Problem hätte, Elemente wie dieses auf Englisch zu verstehen. Die deutsche Übersetzung hingegen wirkt holprig und unpassend. Doch dies ist nur ein kleiner Wermutstropfen und stört den Lesefluss kaum.

Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen, es ist außergewöhnlich und auf gewisse Weise fordernd. Auch das Ende ist wirklich gelungen und hat mich persönlich beeindruckt, warum kann ich hier natürlich nicht verraten. Nur so viel: Alle Fragen, die man sich während dem Lesen stellt, werden auf einmal bedeutungslos.


*Erschienen bei Carlsen*

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    Autorin / Autor: lacrima - Stand: 18. April 2017