Das Praktikum beginnt

Vom Kinderheim und anderen Lebenstandards

Nach einer Zweitagesreise mit indischen Bussen, kamen wir endlich an unserem Bestimmungsort Kraikal an. Nach einigem Umherirren schafften wir es schließlich, dass ein Rikshafahrer, uns zu unserem Camp brachte. Dort angekommen waren wir erstmal sehr enttäuscht, denn irgendwie hatten wir uns das Praktikanten-Camp viel schöner ausgemalt. Die einzigen Möbel die hier in den zwei Wohnungen existierten, waren sechs Plastikstühle. Außer der Küche wurden die jeweils drei Räume in den Wohnungen ausschließlich als Schlafplätze von ca. 30 Leuten genutzt. So war der erste Eindruck Chaos, Enge und Ungemütlichkeit. Die Praktikanten waren aus aller Welt, neben anderen Deutschen gab es hier Engländer, Niederländer, Franzosen, Japaner und natürlich auch Inder. Nachdem wir den ersten Schock überwunden hatten, lebten wir uns nach ein paar Tagen recht gut ein und entdeckten das Flachdach der Wohnung, welches abends zu einem gemütlichen Treffpunkt wurde. Wir hatten sogar Haustiere! Neben unserer Campkatze „Harry“, etlichen Geckos, kam uns „Hasso“ ein Straßenhund öfter besuchen. Daneben zählten auch mal ein Affe, eine Ziege und eine Kuh im Garten zu ungewöhnlichen Besuchern.

Praktikums-Projekte

Der Koordinator unserer indischen Organisation vor Ort, war der Inder "Praveen". Er regelte, wer wann in welches Projekt ging. So wurden uns bei der Ankunft, zunächst die verschiedenen Projekte vorgestellt. Dabei entschieden wir uns für die Arbeit in einem Jungen – Kinderheim. Karaikal war 2004 vom Tsunami betroffen, so dass viele Kinder zu Waisen oder Halbwaisen geworden und ein Großteil der Einwohner arbeitslos und etliche dem Alkohol verfallen waren. So gab es außerdem noch ein Bootsbauprojekt, ein Papiertüten-Projekt (ein Umweltprojekt) und weitere Heimprojekte. 

*Der erste Tag*
An unserem ersten Tag im Praktikum, waren wir ziemlich aufgeregt. Unsere Aufgabe sollte es sein, den Kindern ein paar Englischkenntnisse zu vermitteln. Dabei hielten wir uns an die Arbeit unserer Vorgänger, die für diesen Zweck Bildkarten konzipiert hatten, wozu die Kinder jeweils den englischen Begriff nennen sollten. Ausgestattet mit den Lern-Bildkarten und ein paar Spielideen, fuhren wir aufgeregt mit der Ricksha zu unserem ersten Praktikumstag. Dort erwarteten uns neben 30 indischen Kindern, die uns mit ihren großen braunen Augen gespannt musterten, der Heimleiter und seine Frau. Zur Begrüßung bekamen wir erstmal einen Chai (indischen Tee) gereicht.
Das Heim war für unsere Begriffe in einem sehr kargen Zustand. Nirgendwo waren hier Spielsachen, Bilder, geschweige denn Möbel zu finden, was in Deutschland für uns eine Selbstverständlichkeit wäre. Für solche Anschaffungen war eben kein Geld vorhanden. So bestanden auch die einzigen Besitztümer der Kinder aus einer Schlafmatte, ein paar Klamotten und eventuell ein paar Schulsachen.
Zunächst war es eine riesige Herausforderung für uns, die Namen der 3-16 Jahre alten Jungs zu lernen, bzw. die Kinder auseinanderzuhalten. Namen wie Vignesh, Abineya und Chandru waren für uns erstmals schwer zu behalten, aber nach und nach konnte ich fast jedes Kind beim Namen nennen.

Alltag im Heim

Neben dem Englischunterricht, versuchten wir möglichst auch Spiele mit ihnen zu machen. Dies gestaltete sich nicht so einfach, da sie nur wenig Zeit zur freien Verfügung bekamen. Neben Schule, Hausaufgaben und unserem Englischunterricht, hatten sie noch einige Verpflichtungen im Haushalt. Der strenge Heimleiter erlaubte uns von daher nicht allzu oft, mit ihnen gemeinsame Spiele zu machen. Manchmal schafften wir es jedoch, Spiele wie Katz und Maus mit ihnen zu machen, wobei die Kinder wahnsinnig viel Spaß hatten.

Schlagen als Erziehungsmethode

Was uns sehr erschreckte war, dass es in Indien noch als normale Erziehungspraxis gilt, Kinder zu schlagen. So hatten wir auch den Heimleiter in Verdacht, dass er öfters die Kinder "züchtigte". Denn es kam häufiger vor, dass Kinder Verletzungen aufwiesen, wo uns dann nur mitgeteilt wurde: "der ist hingefallen".
Die Mitarbeiter der indischen Organisation konnten unsere Bedenken da nicht verstehen, da es in Indien wie gesagt als normal gilt, Kinder im erzieherischen Sinne zu schlagen. Das hinterließ bei uns ein sehr schlechtes Gefühl, jedoch sahen wir uns machtlos in der Situation. Denn zum einen wurden die Kinder in dem Heim nie vor unseren Augen geschlagen, zum anderen wollten wir es uns nicht mit dem Heimleiter "verscherzen", weil wir gern in dem Projekt bleiben wollten, um uns weiterhin um die Kinder zu kümmern.

Der Abschied

An unserem Abschiedstag hatten wir für jedes Kind ein Abschiedsgeschenk mitgebracht, worüber sie sich wahnsinnig freuten. Als sich unser letzter Tag dem Ende neigte, bekamen wir zum Dank Blumenkränze umgehängt. Dann versammelten sich alle Kinder und der Heimleiter in einem Kreis, um für uns zu singen und zu beten. Einige Kinder weinten sogar. Schweren Herzens verließen wir schließlich das Heim und konnten uns nur mühsam von den Kindern trennen, die uns inzwischen richtig ans Herz gewachsen waren!

Eine sehr lohnenswerte Erfahrung!

Das Praktikum in Indien war für mich eine sehr lohnenswerte Erfahrung! Erstmal ist es eine Aufgabe, sich mit diesem völlig fremden Land und der Kultur auseinanderzusetzen, was mir ehrlich gesagt nicht immer ganz leicht gefallen ist. Erst wenn man auf die eigenen Standards in seinem Leben weitgehend verzichten muss, weiß man, in welchem Luxus wir hier leben! Vieles was für uns Standard ist, stellt für die meisten Inder puren Luxus dar. Angefangen von Wohnraum, über Kleidung bis hin zu Bildung und dem so anderen Frauenbild, welches die indische Bevölkerung hat.
Davon abgesehen, muss man nicht glauben, dass indische Menschen prinzipiell unglücklicher sind als wir, nur weil sie weniger besitzen. Natürlich gibt es auch einen großen Teil der Bevölkerung, der wirklich am Existenzminimum lebt und nicht weiß, was er am nächsten Tag essen soll, oder Menschen, die nur das besitzen, was sie gerade bei sich haben.
Nach unserem Praktikum sind wir noch einen Monat durch Indien gereist und haben noch wahnsinnig viel gesehen und erlebt. Vorallem hat mich in Indien die Freundlichkeit der Menschen begeistert und ihre Zufriedenheit, trotz der großen Armut. Andererseits ist es schockierend zu sehen, wieviele arme Menschen es gibt, die täglich ums Überleben kämpfen. Vielleicht konnte ich einen kleinen Beitrag leisten, dass es einigen zumindest für einen Moment etwas besser ging.

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Autorin / Autor: Christine Forthaus - Stand: Oktober 2010