Kapitel 34

Dragosia - Die Macht der Elemente Ein Fortsetzungroman von Rita Solis

Ich ziele nicht mit der Hand; wer mit der Hand zielt, hat das Angesicht seines Vaters vergessen.
Ich ziele mit dem Auge.

Ich schieße nicht mit der Hand; wer mit der Hand schießt, hat das Angesicht seines Vaters vergessen.
Ich schieße mit dem Verstand.

Ich töte nicht mit meiner Waffe; wer mit seiner Waffe tötet, hat das Angesicht seines Vaters vergessen.
Ich töte mit dem Herzen.


Drei. Der dunkle Turm. Stephen King.

Plötzlich wusste Enya, was sie tun musste. Von einem Moment auf den nächsten braute sich ein Plan in ihrem Kopf zusammen.
Sie lief zielsicher auf ihre Feindin zu und rief sich Dragos Erklärungen der letzten Wochen über ihr Element ins Gedächtnis: Es ist äußerst schwierig für einen Elementhüter, sein Element nach außen abzugeben. Da wir es nicht gelernt haben, solltet ihr es aufgrund einiger Risiken lieber gar nicht erst versuchen.
Tja, dachte Enya, dafür ist es jetzt leider zu spät.
Amariter weitete überrascht die Augen, als sie bemerkte, dass sich die Hüterin des Feuers rasch näherte, und stellte sich in Angriffsposition.
Enya schloss die Augen und streckte eine Hand aus, während sie stehen blieb. Sie dachte angestrengt an Feuer, an züngelnde und zischende Flammen und Funken, die aufstoben.
Ein heftiger Energieblitz schoss ihren Arm entlang. Wenige Sekunden später schoss eine Feuerfontäne aus ihrer Hand, die einen Kreis um Amariter bildete und sie einschloss.
Die Zauberin kreischte auf. Ihr Gesicht verschwamm hinter den Rauschschwaden, die aus dem Feuer hervorgingen. „Das ist Meuterei!“, schrie sie mit schriller Stimme. „Es war nicht abgemacht, dass du zauberst!“
„Ja“, stimmte Enya zu, „aber du sagtest nichts davon, dass ich die Macht über mein Element nicht nutzen darf.“
Sie trat einen Schritt zurück und erinnerte sich plötzlich wieder an Sapiencias Worte: Mut, Ehre und Tapferkeit sind die Mittel, die du brauchen wirst.

(C) Rita Solis

Wofür?, fragte sich die Hüterin des Feuers.
Und auf einmal hatte sie die Antwort vor Augen. Sapiencias Bemerkung war ein Hinweis. Sie musste ihn lediglich nutzen.
Ich muss es versuchen.
Langsam schloss sie die Augen und lauschte dem Knistern des Feuers. Eine Vision tauchte in ihrem Kopf auf: Die überfüllten Autobahnen in Süditalien. Fliehende Menschen hupten in ihren Autos, doch die Straßen waren hoffnungslos überladen. Die Evakuierung dauerte anscheinend zu lange. Im Hintergrund begann der Qualm des Vulkans den Himmel zu bedecken, doch die Menschen in den Autos waren noch längst nicht außerhalb der Gefahrenzone. Es war ein Wettkampf gegen die Zeit.
Dann dachte Enya an den Vesuv. Vor ihrem inneren Auge betrachtete sie die Magma unter der Erde, die austreten und zu Lava werden würde. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie die Kraft des Vulkans erlosch und seine Stärke abnahm. Ein Stechen machte sich in ihrer Brust bemerkbar, doch sie ignorierte es und ließ ihren Vorstellungen freien Lauf, während ihr Körper vor Anstrengung zitterte und an scheinbar jeder Stelle zu schmerzen begann.
Dann dachte sie an das erste Mittel im Hinweis ihrer Großmutter. Mut. Sapiencias Stimme hallte in ihren Ohren wieder, als würde sie direkt bei ihr stehen: „Das Phänomen von Mut wird häufig missverstanden. Mut heißt nicht, etwas Törichtes zu tun, um sich selbst oder anderen etwas zu beweisen oder jemandem zu gefallen. Wahrer Mut bedeutet, wohlwissend das Richtige zu tun, obwohl man es sich nicht zutraut, und dabei über sich hinauszuwachsen. Es ist ein schwerwiegender Prozess.“ Enya rief sich ins Gedächtnis, wie sie Amariter zum Duell aufgefordert hatte, obwohl sie dabei nichts anderes verspürt hatte als maßlose Angst. Sie presste ihre Hände aneinander, die sogleich anfingen, zu schwitzen. Enya bildete sich sogar seltsamerweise ein, dass sie dampften.

Das zweite Mittel… Ehre. Sapiencias Stimme schien erneut in ihren Ohren zu klingen. „Ehre ist ein unfassbar mächtiger Wert. Er durchströmt einen von Kopf bis Fuß, wenn man ihn sein Eigen nennen kann. Er bedeutet Respekt vor jedem Leben dieser Erde, vor jeder richtigen Entscheidung. Wenn jeder diesen Respekt erkennen und in sich spüren würde, gäbe es keine Kriege, und diese Welt wäre ein besserer Ort.“ Enya erinnerte sich, wie die Bewohner Dragosias vor ihr niedergekniet waren und spürte mit einem Male, wie die Kraft des Vulkans erstmals von ihr gebändigt zu werden schien.
Das letzte Mittel… Tapferkeit. Enya lächelte, sie brauchte keine Erklärung. Sie erinnerte sich, wie sie, egal was in ihrem Leben geschehen war, immer weitergemacht hatte. Sie hatte das Leben angenommen, wie es ihr gegeben worden war, es akzeptiert und hatte nie völlig aufgegeben, obwohl es stets viel Kraft gekostet hatte. „Wir fallen, um erhobenen Hauptes wieder aufzustehen“, erklang Sapiencias Stimme in ihrem Ohr.
Und dann erkannte Enya wahrhaftig, worin all das mündete. Liebe. Sie dachte an ihre Adoptiveltern, an Viola und auch an Drago, ihren Vater. An ihre Mutter, wie sie wohl als Victoria ausgesehen haben mochte. An ihre neuen Freunde. Schließlich hatte sie Nerós Gesicht vor Augen, der sie aufmunternd anlächelte. Wahrhaftige Liebe ist die stärkste Macht der Welt.
Sie öffnete befreit lächelnd die Augen und musste sich eingestehen, dass sie sich ein Stück weit weiser fühlte als zuvor. Und auf einmal musste sie feststellen, dass sowohl das Stechen in ihrer Brust als auch die Visionen aus ihrem Kopf verschwunden waren. Kurz darauf tauchte ein verschwommenes Bild in ihrem Kopf auf: Der ausbrechende Vesuv, dessen Rauch den Himmel in ein tiefes Grau stürzte, und im Vordergrund die sich leerenden Autobahnen. Das Unglück konnte nicht abgewendet werden. Aber sie hatte den Menschen zumindest genügend Zeit verschafft, um rechtzeitig aus Neapel zu fliehen.
Ich habe es geschafft!
Dann betrachtete sie ihre Hände und löste sie vorsichtig voneinander.
Auf ihren unversehrten Handflächen ruhte etwas Heißes, Rauchendes. Es war eine kleine orangefarbene Kugel aus purem Feuer. In ihrem Inneren glühte eine blaue Flamme.
Ich habe mir nicht eingebildet, dass meine Hände dampfen. Sie haben es wirklich getan!
Sie sah auf und starrte Amariter an, vor deren Gesicht noch immer Rauschschwaden tanzten. Ein seltsames Gefühl durchzuckte sie. Ja, sie konnte nicht töten. Es lag nicht in ihrer Natur und darauf war sie stolz. Doch es war an der Zeit, diese Regel zum ersten und letzten Mal zu brechen.
Langsam trat sie einen Schritt zurück und nahm die Feuerkugel in ihre rechte Hand. Sie stellte sich in Wurfposition und konzentrierte sich. „Für Dragosia!“, rief sie in die rauchige Luft hinein. Und dann warf sie.
Sie war nie gut im Sportunterricht gewesen, vor allem was das Werfen anbetraf, doch das Feuergeschoss traf die Zauberin unerwartet in den Bauch. Enya schnippte konzentriert mit den Fingern, und der zuvor von ihr erschaffene Feuerkreis erlosch. Auf dem Boden hinterließ er eine tiefe Brandspur.
Sie stolperte zu der Hexe, die verwirrt nach Luft schnappte. In ihrem Bauch klaffte ein Loch, aus dem unaufhörlich Blut floss. Auf dem Boden bildete sich eine Lache.
„Das kann nicht wahr sein“, hauchte Amariter und starrte die Hüterin des Feuers an. „Deine Prophezeiung… sie hat sich nicht erfüllt!“ Aus ihrem Mundwinkel löste sich ein dünner Blutfaden, als sie sprach.
Enya schaute sie durchdringend an: „Freust du dich etwa nicht?“
Amariter spuckte gehässig auf den Boden, es war Blut dabei.
Enya spürte, wie das Gefühl des Sieges sie übermannte. Sie zuckte lächelnd die Schultern und entfernte sich von der sterbenden Zauberin.
Vor ihr erwachte Dragos bisher stille Armee zum Leben. Dann brach ein ohrenbetäubender Lärm aus. „Du hast gesiegt! Es lebe Dragosia!“, erscholl es im Chor. Die Waffen wurden in die abgekühlte Nachtluft erhoben, Jubelrufen freien Lauf gelassen. Das gegnerische Heer zerstreute sich derweil und floh in den verzauberten Nadelwald.
Die Hüterin des Feuers hörte Amariters würgende und inzwischen im Todeskampf schwächer werdende Stimme: „Wo lauft ihr hin? Ihr dürft nicht weglaufen! Ihr seid allesamt Feiglinge, hört ihr?“
Doch ihre Armee gehorchte ihr nicht, und innerhalb der nächsten Sekunden war kein gegnerischer Soldat mehr übrig. Lediglich einige Speere und Schilder blieben auf der Wiese zurück.
Enya wandte sich ab und sah Drago, Jordan und Neró auf sich zulaufen.
„Du warst umwerfend!“, rief ihr der Hüter des Wassers zu, und ihr Vater nickte zustimmend. Jordan zeigte ihr beim Näherkommen seinen nach oben gereckten Daumen.

Enya spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Am liebsten wollte sie die Worte, die in ihrem Kopf umherschwirrten, in die kalte Luft schreien: Die Prophezeiung hat sich nicht erfüllt! Ich lebe! Doch sie riss sich zusammen und sprintete ihren Freunden entgegen.
Die Hüterin des Feuers war schon fast angekommen, als plötzlich etwas in ihren Rücken stach. Sie hörte Amariters verräterisches krächzendes Kichern, als sich auf einmal ein rasender Schmerz auf Enyas Rücken bemerkbar machte und die Welt einige Sekunden lang stillzustehen stand. Die Freudenrufe ihrer Freunde verebbten in ihren Ohren, und auf einmal tauchte der letzte Teil der Prophezeiung wieder vor ihrem inneren Auge auf. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit. Wieso, Entarna? Ich habe Dragosia von Amariter befreit! Wieso also sollte sich die Prophezeiung jetzt noch erfüllen?
Dragos Lächeln erstarb auf der Stelle. „Dreh dich um“, befahl er mit zittriger Stimme.
Enya tat wie geheißen und musste sich der sterbenden Zauberin zuwenden, während ihr Vater ihren Rücken untersuchte.
Sie sah, wie der Körper der Hexe zuckte und sich wieder zurückverwandelte, während sie ununterbrochen ein hustendes Kichern von sich gab. Lediglich einige abgefallene Schuppen und zwei Giftstachel blieben auf der Blumenwiese zurück.
Und auf einmal wusste Enya, was in ihrem Rücken steckte und warum die Zauberin lachte.
Amariter hatte drei Giftstachel. Das heißt, dass der dritte Stachel…
Sich der plötzlich eingefundenen Stille von Drago und seiner Armee bewusst, drehte sie sich ruckartig um und griff an ihren Rücken.
Obwohl sie das Geschoss an ihrer Hand spürte, fragte sie: „Der Giftstachel steckt in meinem Rücken, nicht wahr?“
Niemand antwortete.
Die Bewohner Dragosias sahen sie betroffen, aber zugleich auch respektvoll an. Zunehmend nickten einige in der Menge bedauernd.
Drago starrte seine Tochter mit einer Mischung aus Verzweiflung, Wut und Trauer an. Schließlich wandte er sich an seine Soldaten: „Ihr könnt gehen. Ihr habt heute mutig und tapfer an der Seite von Enya, eurer Obersten Beraterin, gekämpft.“
Die Hüterin des Feuers riss die Augen auf und wollte protestieren, doch Drago lächelte traurig und schnitt ihr das Wort ab: „Niemand hat es mehr verdient als du, Enya.“
Das Heer verbeugte sich vor seiner neuen Obersten Beraterin und zerstreute sich.
Zuletzt waren nur noch Drago, Jordan, Neró und Plum um die Hüterin des Feuers versammelt.
Neró sah verzweifelt zu Enya und wandte sich schließlich an den Drachen: „Welche Wirkung hat der Giftstachel? Ihr könnt ihr doch helfen, oder?“
Drago schwieg und blickte resigniert in den Himmel. Dann richtete er seine platingrauen Augen auf den Hüter des Wassers: „Ich wusste von Anfang an, dass du nur wegen meiner Tochter in Dragosia bleiben wolltest, Neró. Und anfangs hat mich das wirklich gestört. Ich dachte, du würdest ihr lediglich schaden. Aber mit der Zeit habe ich bemerkt, dass du es ernst mit Enya meinst.“
Dann richtete sich der Drache seufzend an Jordan: „Du weißt, welche Wirkung der Giftstachel hat, nicht wahr? Ich habe bemerkt, dass in meiner Höhle einige meiner Bücher fehlen. Du müsstest also bestens informiert sein.“
Jordan, der bisher betreten zu Boden gesehen hatte, wurde rot. Er biss sich auf die Lippen und nickte.
„Sag es ihnen“, befahl Drago leise. „In einfacher Form.“
Der Hüter der Erde sammelte sich einen Moment. „Der Giftpfeil führt in der Regel zur langsamen Lähmung mit anschließendem…“ Seine Stimme brach. Seine Augen wurden feucht und langsam sammelte sich eine Träne in seinem Augenwinkel, als er den Satz beendete: „Herzstillstand.“
In Nerós Gesicht spiegelte sich das blanke Entsetzen wider.
Er ging auf den Drachen zu und begann, mit lauter werdender Stimme auf ihn einzureden: „Du hast Aura sterben lassen, und jetzt lässt du den Tod deiner eigenen Tochter geschehen…“

Enya beobachtete, wie sich Neró, Jordan und Drago in einen Streit verwickelten.
„Als ob das die Situation bessern würde“, meinte Plum zu ihrer Rechten verächtlich. „Typisch Mensch.“
Die Hüterin des Feuers betrachtete den Fellball zustimmend, und sie musste seltsamerweise urplötzlich lächeln. Er hatte seine Waffen abgelegt, und sein zuvor blutverschmiertes Fell war seltsamerweise sauber und leuchtend weiß. Es erinnerte sie an ihre erste gemeinsame Begegnung in Dragosia.
„Ist sie schon tot?“, fragte Enya schwach und wies mit dem Kinn auf Amariters inzwischen erschlafften Körper.
Als Plum nicht antwortete, lief sie schwankend zu der besiegten Zauberin. Sie nahm zur Kenntnis, dass der Wächter der Gesetze ihr folgte und neben ihr stehen blieb.
Amariter lebte noch. Ihr Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig.
„Wir sollten sie töten“, meinte Enya stirnrunzelnd. „Sie leidet.“
Der Fellball bohrte einen seiner weißen, pelzigen Füße in die Erde. „Vermutlich hast du Recht“, entgegnete er betreten. Dann stellte er nüchtern fest: „Andererseits ist sie dafür verantwortlich, dass du innerhalb von einer Stunde sterben wirst. Das Gift breitet sich langsam aus, wie Jordan bereits gesagt hat.“
Die Hüterin des Feuers zog Sapiencias Dolch hervor und ging vor Amariter in die Knie. Das Gesicht der Hexe war noch bleicher als sonst. Ihre Augen waren geschlossen, und ihre Stirn schweißbedeckt.
Ich kann nicht töten… Nur dieses eine Mal muss es sein.
Ohne auf Plums Bedenken einzugehen, führte Enya den Todesstich aus. Die keuchende Atmung der Hexe setzte aus.
Eine unangenehme Stille breitete sich aus, während Enya den Dolch zurück in die Schwertscheide steckte. Ausdruckslos betrachtete sie den leblosen Körper, und ihre Gedanken schweiften ab.
Plötzlich wurden sie und Plum, der ebenfalls eine kurze Zeitspanne lang verharrt hatte, auf ein Geräusch aufmerksam.
Mit einem Mal holte die Zauberin vor ihnen Luft. Ihre Augen öffneten sich. Die Iris nahm eine seltsame Färbung an. Es war dieselbe, die auch Enya besaß.
Die Hüterin des Feuers wechselte einen Blick mit Plum. Die Fellkugel sah sie mit leuchtenden Augen an: „Ich glaube, sie…“
„Sie verwandelt sich in Victoria zurück!“, beendete Enya den Satz, wobei sich ihre Stimme vor Aufregung überschlug.
Die ersten Veränderungen setzten ein. Das schwarze, glatte Haar verfärbte sich braun und wurde so kraus wie das ihrer Tochter. Ihr Gesicht nahm eine natürliche Hautfarbe an, und die Reißzähne wurden kleiner, bis sie verschwanden und gewöhnlichen Zähnen Platz machten. Die Fingernägel verkümmerten, bis sie eine für einen Menschen durchschnittliche Größe erreichten, und Enya war sich sicher, dass auch die Spaltung der Zunge verschwunden war. Die Wunden an Bauch und Schulter verschwanden.
Die Frau zu ihren Füßen zuckte zusammen, rieb sich die Augen, setzte sich zögerlich auf und sah den Fellball in offensichtlicher Verwirrung an: „Plum?“
Sie hatte eine warme und sanfte Stimme, die einen starken Kontrast zu Amariters bildete.
Der Wächter der Gesetze nickte eifrig wie ein Wackeldackel.
Victoria betrachtete stirnrunzelnd Enya: „Und… wer bist du?“
Die Hüterin des Feuers sah ihrer Mutter in die Augen, und diese blickte zurück. Plötzlich schien sie aufgrund der Ähnlichkeit der Augen und der Haare zu begreifen, wen genau sie vor sich hatte, und Fassungslosigkeit machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Enya?“

Die Hüterin des Feuers spürte, wie mit einem Male Tränen in ihre Augen schossen, und nickte ebenfalls.
„Meine Güte! Du hast überlebt!“ Victoria nahm ihre Tochter in den Arm und drückte sie unglaublich fest an sich. Enya atmete den Duft ihrer Mutter ein, während diese in ihre Haare redete: „Mein Schatz! Ich werde dich niemals wieder verlieren! Niemals!“ Sie ließ ihre Tochter los, nur um sie von oben bis unten zu mustern und erneut überschwänglich zu umarmen: „Schon lange vor deiner Geburt wollte ich, dass du diesen Namen bekommst. Und... Ich kann mich erinnern, wie Drago und ich gegeneinander gekämpft haben… Er wollte einfach nicht verstehen, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Mord an seinen Untertanen und mir gab. Ich wusste, dass ich sterben würde, aber ich wollte nur, dass es dir gut geht.“
Sie ließ Enya los und wischte sich mit ihrem Handrücken über die verweinten Augen, als eine Stimme hinter ihnen ertönte.
„Victoria?“
Drago blickte seine Geliebte ebenso fassungslos und mit leuchtenden Augen an, doch diese packte entschlossen das Handgelenk ihrer Tochter und stolperte einen Schritt zurück.
„Ich werde nicht zulassen, dass du uns erneut trennst“, fauchte sie den Drachen an.
Neró und Jordan blickten irritiert von Victoria zu Drago und anschließend zu Enya.
„Vor vielen Jahren hast du mir eine Prophezeiung vorausgesagt“, entgegnete Drago. Seine Stimme war voller Schmerz, als er fortfuhr: „Die letzte Zeile beginnt, sich zu erfüllen. In weniger als einer Stunde wirst du wieder von deiner Tochter getrennt sein.“

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