Voreingenommene Absagen

Studie zu Bewerbungen: Durch Vorurteile werden Talente von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss und Migrationshintergrund unterschätzt

Deutschland ist ein multikulturelles Land: Über ein Drittel der Jugendlichen kommen aus einer Familie mit Migrationsgeschichte. Trotzdem werden laut einer aktuellen Studie gerade diese jungen Männer und Frauen - vor allem wenn sie einen Hauptschulabschluss haben - bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz benachteiligt. Sie seien häufig mit Zweifeln an ihrer Eignung konfrontiert, die auf Vorurteilen beruhen. Mit dramatischen Folgen für die Betroffenen selbst, denn ihr gesamter weiterer Lebensweg werde dadurch erschwert, dass sie nicht die gleichen Chancen erhalten wie andere. Auch aus unternehmerischer Sicht sei es – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – ein Fehler, Bewerber:innen aufgrund ethnischer Zuschreibungen abzusagen. Die Fähigkeiten der Betroffenen seien nämlich häufig besser als vermutet, zum Beispiel bezogen auf Sprachkenntnisse. Das ergibt eine Studie von Dr. Janina Söhn vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) an der Universität Göttingen und Sophie Krug von Nidda von der Universität Paderborn, die die Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.
 
Die Forscherinnen haben untersucht, wie Entscheidungen zur Besetzung von Ausbildungsplätzen zustande kommen. Dazu haben sie zum einen Daten über Ausbildungsbetriebe sowie Bewerber:innen ausgewertet, die das SOFI im Rahmen mehrerer Evaluationsstudien erhoben hat. Zum anderen haben sie zehn Interviews mit Personalverantwortlichen in Betrieben aus dem Dienstleistungsbereich geführt. Diese Herangehensweise ermöglicht ein tiefgehendes Verständnis von Entscheidungsprozessen, die in vielen Betrieben in Deutschland ähnlich ablaufen dürften, auch wenn die Ergebnisse der Studie nicht repräsentativ sind.

Die Auswertung des quantitativen Datensatzes, der Informationen über mehrere hundert Bewerbungsprozesse der Jahre 2007 bis 2013 enthält, zeigt, dass Teampassung und Sprache bei der Auswahl besonders wichtig sind. Vor allem in Betrieben, die nach eigenen Angaben starken Wert darauf legen, dass Neue zum bestehenden Team passen, würden Bewerber:innen mit Migrationshintergrund und Hauptschulabschluss benachteiligt. In diesen Betrieben haben sie gegenüber Jugendlichen mit vergleichbarer Schulbildung, aber ohne Migrationshintergrund, ein um durchschnittlich 24 Prozentpunkte erhöhtes Risiko, nicht angenommen zu werden. Diese „ethnische Differenz“ macht bei Jugendlichen, die sich bei anderen Firmen beworben haben, „nur“ 18 Prozentpunkte aus. Insgesamt halten 65 Prozent der befragten Betriebe Teampassung für sehr wichtig.

Betriebe, denen sprachliche Kompetenzen wichtiger sind, diskriminieren weniger

Interessanterweise zeigt sich bei Betrieben, denen sprachliche Kompetenzen wichtiger sind, ein anderes Bild: Bei diesen Firmen haben Jugendliche mit Migrationshintergrund keine Nachteile. Das liege möglicherweise daran, dass diese Unternehmen die sprachlichen Fähigkeiten der Bewerber:innen, die oft besser sind als angenommen, genauer überprüfen. Unternehmen, die sich diese Mühe nicht machen, blieben dagegen eher Vorurteilen verhaftet, vermuten die Wissenschaftlerinnen.

Auch in den Interviews mit Personalverantwortlichen wird deutlich, dass die Herkunft im Auswahlverfahren eine Rolle spielt. Zwar betonen die Personalverantwortlichen, dass alle Bewerber:innen gleichbehandelt würden. An verschiedenen Stellen werde jedoch deutlich, dass die Ethnizität sehr wohl von Bedeutung ist, schreiben die Wissenschaftlerinnen. So äußert beispielsweise einer der Befragten: „Also, wo wir auch natürlich immer ein bisschen aufpassen müssen, ist, wenn wir zu viele Menschen einer Nationalität in einer Filiale haben, und die Filialleitung spricht die Landessprache nicht.“ Auch wenn es darum geht, ob die Bewerber:innen mutmaßlich zur Kundschaft, zu Leitungspersonen oder ins Team passen, scheinen ethnische Zuschreibungen durch: „Also ich stelle ja auch Leute aus Syrien, aus dem Iran und Ähnliches, Afghanistan ein, aber ich kann nicht nur afghanische Männer einstellen. Wirklich nicht. Die lassen sich von unseren Frauen nichts sagen.“

Deutlich unterschieden werde zudem zwischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die ihre gesamte Schulzeit in Deutschland verbracht haben, und denen, die erst vor kurzer Zeit ins Land gekommen sind, schreiben die Forscherinnen.

Appell an Ausbildungsbetriebe: mehr Jugendlichen aus Zuwandererfamilien eine Chance geben

Für Hauptschul-Besucher:innen ist die duale Ausbildung nahezu die einzige Möglichkeit, einen Berufsabschluss und damit die Basis für eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu erlangen. Gerade Betriebe, die noch keine Erfahrungen mit Auszubildenden mit Migrationshintergrund haben, sollten die Ergebnisse neuerer Studien dazu ermutigen, sie einzustellen, raten Söhn und Krug von Nidda. Firmen, die bereits Jugendliche aus Zuwandererfamilien ausgebildet haben, beurteilten diese Erfahrung meistens positiv. Sie stellten nur sehr selten Probleme mit der deutschen Sprache fest. Wer für die Einstellung von Auszubildenden verantwortlich sei, solle sich die Grundlagen der eigenen Entscheidung bewusst machen beziehungsweise auf „strukturelle, nicht intendierte Ausschlussprozesse im Auswahlverfahren“ achten.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung