Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts

Autor: Jakob Springfeld
Co-Autor: Issio Ehrich

Jakob Springfeld wird 2002 in Zwickau geboren und wächst dort relativ behütet auf. Als er sich mit dem gleichaltrigen Mostafa anfreundet, der aus Afghanistan geflüchtet ist, lernt er nach und nach die andere Seite der Stadt kennen, die rechte, nationale, ausländerfeindliche und rassistische Seite. „In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich Hakenkreuze an Mülltonnen, Nazisticker oder rechte Schmierereien tatsächlich schon immer mal gesehen hatte. Doch ich hatte sie einfach ignoriert. Plötzlich was das anders. Plötzlich hatte das Ganze einen grausamen Bezug zu meiner Lebenswirklichkeit. … Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen … wurde persönlich.“ (S. 49) Er politisiert sich, engagiert sich mehr und mehr in Antifa-Kreisen, vernetzt sich und seine Fridays for Future Mitstreiter mit den anderen, die sich mit viel Zivilcourage wehren.

Aber es sind zu wenige, zumal Jakob immer wieder erlebt, dass weder die Polizei noch die Stadtpolitik entscheidend gegen rechts vorgehen. Hautnah berichtet er von der Wut darüber und den Ängsten mit dem Engagement auch Freunde und Familie, zu gefährden. Er erzählt von der brutalen Gewalt in den 1990er-Jahren und von den subtilen Drohungen der 2010er-Jahre. Und er zeigt das rechte Geflecht in der Stadt auf, welche Verbindungen wer zu den Tätern der NSU Morde hatte und wie stark die regionalen Verknüpfungen nach Plauen und Chemnitz sind. Er sagt, dass Sachsen rechts ist, aber dass es gesamtdeutsches Problem ist.

Das Buch ist einerseits ein Bericht über Leben in Zwickau heute, das „unter Nazis leben“ (S. 179) bedeutet. Es ist aber auch ein Buch über Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR und der heutigen Bundesrepublik. Und es ist auch ein Coming of Age Text, da Jakob ihn anfängt zu schreiben, als er zum Studium nach Halle zieht. Der Stil ist sehr sachlich, wenn es um die Fakten geht, was die Schilderungen sehr nachdrücklich macht. Auch der Auftakt des Buches, der mit einer Auflistung aller Personen beginnt, die seit 1990 aus rechtsextremer Motivation ermordet wurden, ist ein Statement für sich. Die Stellen, an denen Jakob von seinem Frust, den Hoffnungen und Ängsten erzählt, sind emotional und persönlich.

Das Buch endet damit, dass Jakob seinen Platz sucht. Er stellt in Frage, nach dem Studium nach Zwickau zurückzukehren, aber er ist sich gewiss, dass er sich weiterhin politisch einsetzen wird. Es ist ein aufrüttelndes Buch, ohne dass es eines direkten Appells seid wachsam, protestiert, mischt euch ein, bedarf.

Zwei Kritikpunkte: Ein Personenverzeichnis fehlt, und die Kapitelüberschriften sind uneindeutig, was das Suchen nach konkreten Fakten erheblich erschwert. Dennoch ist es ein aktuelles und lesenswertes Buch.

*Erschienen im Quadriga Verlag*

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Autorin / Autor: VFM - Stand: 6. November 2023