Turbo-Lernen möglich?

Studie: Student_innen, die Vorlesungen in doppelter Geschwindigkeit ansehen, behalten fast so viel wie in normaler Geschwindigkeit. Noch schneller ist aber kontraproduktiv.

Die aufgezeichnete Online-Vorlesung zieht sich wie Kaugummi? In der Corona-Phase hatten und haben Student_innen leider viele Gelegenheiten, sich Vorlesungen gemütlich in den eigenen vier Wänden anzuschauen - ohne Ablenkung durch nette Sitznachbar_innen oder hereinpolternde Zuspäterkommer. Das kann sehr ermüdend sein, zu Hause auf dem Sofa der Stimme der Dozierenden zu folgen. Darum sind viele dazu übergegangen, diese Zeit des einsamen Zuhörens radikal zu verkürzen, indem sie die aufgezeichneten Vorlesungen einfach schneller laufen lassen, doppelt so schnell oder noch schneller. Aber bleibt da überhaupt noch irgendwas hängen? Erstaunlicherweise ja, sagen Forscher_innen der US-amerikanischen University of California, Los Angeles. Sie konnten in einer Studie zeigen, dass Studierende Informationen auch dann echt gut behalten, wenn sie sie mit bis zu doppelter Geschwindigkeit ansehen. Dann allerdings scheint das Ende der Fahnenstange erreicht. Wer noch mehr beschleunigt, erinnert sich später schlechter.

In ihren Experimenten untersuchten die Forschenden, wie Gruppen von Testpersonen abschneiden, wenn sie Vorlesungsvideos in normaler, in 1,5-facher, in doppelter und in 2,5-facher Geschwindigkeit ansahen. Anschließend wurden ihnen Verständnistests (Multiple-Choice mit richtig-falsch Antworten) vorgelegt. Die Gruppe mit normaler Geschwindigkeit gab im Durchschnitt 26 von 40 Antworten richtig an, während die Gruppe mit doppelter Geschwindigkeit 25 Antworten erreichte (etwa gleich viel wie die Gruppe mit 1,5 Geschwindigkeiten). Die Gruppe mit 2,5-facher Geschwindigkeit schnitt nicht so gut ab und beantwortete nur etwa 22 Fragen richtig.

Eine Woche später sollten dieselben Gruppen noch einmal verschiedene Tests zu den beiden Videos durchlaufen, um zu beurteilen, was sie behalten hatten. Die Gruppe mit normaler Geschwindigkeit beantwortete im Durchschnitt 24 von 40 Fragen, die Gruppe mit 1,5-facher und doppelter Geschwindigkeit 21 und die Schüler mit 2,5-facher Geschwindigkeit 20.

"Überraschenderweise hatte die Videogeschwindigkeit nur geringe Auswirkungen auf das unmittelbare und das verzögerte Verständnis, bis die Lernenden das Doppelte der normalen Geschwindigkeit überschritten", sagte der Hauptautor Dillon Murphy, ein Doktorand der Psychologie an der UCLA.

Die Forschenden variierten das Design der Experimente noch ein paar Mal, Videos wurden zweimal im Schnelldurchlauf geguckt und mit einmal langsam gucken verglichen, mal wurde erst schnell und dann langsam oder umgekehrt geguckt, mal im Abstand von mehreren Wochen zweimal doppelt so schnell. Dabei bestätigte sich, dass Schnellgucken bis zu einem bestimmten Grad keine Nachteile hat - im Gegenteil. "College-Studenten können Zeit sparen und effizienter lernen, wenn sie aufgezeichnete Vorlesungen mit höherer Geschwindigkeit ansehen, wenn sie die eingesparte Zeit für zusätzliches Lernen nutzen, aber sie sollten die doppelte normale Wiedergabegeschwindigkeit nicht überschreiten", sagte Murphy. Allerdings, warnen die Forscher_innen, sei die Strategie möglicherweise bei sehr komplexem Lehrmaterial nicht wirksam.

Ihr seht, es spricht also erstmal nichts dagegen, die Vorlesung künstlich etwas zu beschleunigen, solange ihr ins Homeoffice verbannt seid, einfach auch, weil es ermüdend ist, die ganze Zeit ohne menschliche Interaktion zuzuhören. Grundsätzlich stellt sich trotzdem die Frage, ob "Effizienz" und Schnelligkeit beim Lernen immer die oberste Priorität haben sollten. Vielleicht sind Durchdringen, Verstehen, Nachvollziehen und Nachdenken (vielleicht gar eigene Notizen dazu machen) langfristig doch nachhaltiger und wirksamer als schnelles Trichtern in Turbo-Geschwindigkeit. Probiert es einfach mal aus!

Die Studie wurde online in der Zeitschrift Applied Cognitive Psychology veröffentlicht.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 28. Januar 2022