Sowas wie Sommer, sowas wie Glück

Autorin: Lise Villadsen
Übersetzt von: Meike Blatzheim

Astrids Schwester Cecilie leidet an einer Erkrankung, die man nicht sehen kann: Eine Angststörung sorgt dafür, dass sie kaum noch das Haus und oft nicht mal mehr das Bett verlassen kann. Astrid und ihre Eltern versuchen alles, um Cecilie zu unterstützen, doch es ist nicht einfach. Die ganze Familie kämpft den Kampf gegen das unsichtbare Grauen, das Cecilie umklammert hält, und doch geht jedes Familienmitglied anders damit um. Während die Mutter ständig ihren Job zur Seite schiebt, stürzt der Vater sich in seine Arbeit und beteiligt sich kaum an Gesprächen über die Situation. Und in all dem Chaos weiß Astrid überhaupt nicht mehr, wo sie eigentlich steht - muss die Liebe zur Schwester dem Wunsch, sein eigenes Leben zu leben, übergeordnet werden?

*Meine Meinung*
„Sowas wie Sommer, sowas wie Glück“ zeigt unglaublich eindrücklich und einfühlsam, dass eine psychische Erkrankung längst nicht nur den oder die Erkrankte_n (be)trifft. Es sind viele Dialoge, manchmal aber auch nur ganz kleine Sätze, die Lise Viladdsen nutzt und die doch eine sehr große Bedeutung haben. So sehr Astrid und ihre Eltern auch versuchen, Cecilie zu beizustehen, man merkt ihnen ihre Hilflosigkeit an, und Frau Viladdsen hat ein unglaubliches Talent, diese Hilflosigkeit und die zwischenmenschlichen Befindlichkeiten mit ganz wenigen Worten deutlich zu machen. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt!

Außerdem werden auch die Effekte beleuchtet, die die Erkrankung auf vor allem Astrids erweitertes Umfeld hat.
Als jemand, der selbst von einer Angststörung betroffen ist, hat es mich allerdings zu Anfang doch ziemlich überrascht, wie wenig Verständnis ich zeitweise für Cecilie hatte. Nicht, weil ich fand, sie solle sich „zusammenreißen“ oder sie stelle sich irgendwie an. Eine Angststörung ist eine Erkrankung und sollte unbedingt ernst genommen werden! Ich fand Cecilie aber teilweise ein wenig manipulativ und sehr fordernd, indem sie ihrem Umfeld - aber vor allem Astrid - häufig ein schlechtes Gewissen gemacht hat. Zumindest kam es so rüber, und ich persönlich konnte das anfangs nur schwer nachvollziehen. Auch weil das Buch aus Astrids Sicht geschrieben ist und man immer wieder miterlebt, wie Astrid all ihre Bedürfnisse zurückstellt, damit Cecilie sich nicht hinten angestellt oder lästig fühlt. So rührend das von Astrid ist, so problematisch ist es natürlich auch. Ich denke allerdings, dass dies von Frau Viladdsen genauso gewollt war: man soll Cecilies Verhalten nicht komplett nachvollziehen können, ansonsten wäre das Buch ja aus ihrer Sicht geschrieben worden - abgesehen davon ist eine Angststörung oft nicht mal für Betroffene nachvollziehbar.

Es gab zudem trotzdem genug Szenen, in denen ich aufrichtig mit Cecilie gelitten habe. Mit der Zeit wurde auch deutlich, dass hinter Cecilies Verhalten nur die Angst steckt, zurückzufallen, das eigene Leben nicht auf die Reihe zu bekommen und vielleicht aufgrund dieser starken Probleme verlassen zu werden, weil das Umfeld es nicht mehr aushält. Dass ich hier so viel über sie schreibe, eigentlich schon mehr als über Astrid, verdeutlicht mir jetzt auch noch mal, wie stark der Fokus auf Cecilie und ihrer Erkrankung liegt (wenn auch immer nur aus der Sicht der anderen).

Astrid allerdings ist ein starker, liebevoller, nahbarer Charakter, ich mochte sie als Protagonistin sehr gern. Man kann den Zwiespalt, in dem sie steckt, von Anfang an total nachempfinden, ebenso wie die sehr gegensätzlichen Gefühle, die sie hat. Da sind Schuldgefühle, Trauer, Wut, Angst, aber auch schöne Empfindungen wie Dankbarkeit, Zusammenhalt oder die ersten Schmetterlinge im Bauch.
Man wünscht ihr von Herzen, dass sie erkennt, was ihre Schwester braucht, aber vor allem, was auch sie selbst braucht und sich erlauben darf. Ob das passiert, lasse ich hier mal offen.

Es ist mir noch wichtig zu erwähnen, dass das Buch zwar nicht unbedingt viele stark triggernde Momente enthält, die Emotionen aber dennoch beim Lesen manchmal ganz schön hochkochen können - zumindest war es bei mir so. Deshalb nehmt euch das Buch lieber nur dann vor, wenn ihr euch emotional einigermaßen stabil fühlt oder wenn ihr mit der Thematik einer Angststörung gar nichts zu tun habt und einen sehr einfühlsamen Einblick bekommen wollt.

*Erschienen bei Oetinger*

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Autorin / Autor: Sarah H. - Stand: 6. April 2022