Mehr Freundschaften - mehr Meinungsblasen?
Forschende finden mögliche Ursache für zunehmende Polarisierung
Warum können wir nicht mehr konstruktiv streiten? Warum sehen wir immer weniger Grautöne und statt dessen nur noch schwarz oder weiß? Weltweit ist zu beobachten, dass die Polarisierung seit einigen Jahren massiv zunimmt. Forschende um Stefan Thurner vom Complexity Science Hub (CSH) haben dieses Phänomen nun genauer untersucht und festgestellt, dass dieser Anstieg sprunghaft geschah – und zwar zwischen 2008 und 2010.
Um herauszufinden, wo die Ursache liegen könnte, untersuchte Thurner gemeinsam mit seinem Team, ob es zu dieser Zeit auch Veränderungen in den sozialen Netzwerken und in den Freundschaftbeziehungen gab. Dabei stießen sie auf eine erstaunliche Entwicklung: „Jahrzehntelang zeigten soziologische Studien, dass Menschen im Durchschnitt etwa zwei enge Freunde hatten – Personen, die ihre Meinung in wesentlichen Fragen beeinflussen konnten“, erklärt Thurner. Um 2008 kam es dann zu einem sprunghaften Anstieg von durchschnittlich zwei auf vier bis fünf enge Freund:innen.
Hängen diese beiden Entwicklungen also zusammen? Führen mehr enge Freund:innen und damit mehr Verbindungen im sozialen Netzwerk einer Gesellschaft zu einer Polarisierung?
Mithilfe eines Modells, das auf realen Daten basiert, stellten die Forschenden fest, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte. Der Grund: „Wenn Menschen stärker miteinander vernetzt sind, treffen sie häufiger auf unterschiedliche Meinungen." Das führe zu mehr Konflikten und damit zu einer stärkeren Polarisierung in der Gesellschaft, erklärt Co-Autor Korbel.
Einseitigere Einstellungen
Für ihre Studie analysierten die Forschenden eine Vielzahl von bestehenden Umfragedaten: zum einen zu Polarisierung und zum anderen zu sozialen Netzwerken. Dabei stellten sie fest, dass die politische Einstellung zwischen 1999 und 2017 deutlich einseitiger geworden ist und sich immer mehr Menschen klar einem politischen Lager zuordnen.
Bei der Analyse der Freundschaftsnetzwerke zeigen die Daten durchgängig, dass im gleichen Zeitraum auch die durchschnittliche Zahl enger Freundschaften gestiegen ist – von 2,2 im Jahr 2000 auf 4,1 im Jahr 2024.
Social Media und Smartphones - Toleranzkiller?
Der sprunghafte Anstieg sowohl der auseinanderdriftenden Einstellungen als auch der Zahl enger Freund:innen fällt in eine Zeit, in der Social-Media Plattformen und Smartphones erstmals breite gesellschaftliche Verbreitung fanden. Das könnte die Vernetzung zwischen Menschen stark verändert und damit indirekt die Polarisierung befördert haben.
Eine zentrale Rolle spiele dabei die Toleranz. „Wenn ich zwei Freunde habe, tue ich alles, damit ich sie nicht verliere. Ich bin sehr tolerant ihnen gegenüber. Wenn ich aber fünf habe und es wird mit einem davon schwieriger, ist eine Entfreundung einfacher, weil ich noch 'Backups' habe. Ich muss also nicht mehr so tolerant sein“, erklärt Thurner.
Eine gefährliche Entwicklung, denn damit verschwindet ein gesellschaftliches Level an Toleranz. Die Folge könnte sein, dass demokratische Strukturen verschwinden und Gesellschaften zunehmend zerfallen. Es müsse daher frühzeitig gelernt werden, mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen und Toleranz aktiv zu erlernen, so Thurner.
Quelle
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 7. November 2025