Mangelware politische Bildung

An Berufsschulen wird weniger Politik unterrichtet als in der Sekundarstufe 1, und die Redezeit von Schüler_innen in dem Fach beträgt durchschnittlich nur eine Stunde pro Schuljahr, so eine neue Studie der Universität Bielefeld.

Eine Demokratie ist nur so gut wie der Informationsgrad der Menschen, die sie gestalten. Nur wer Bescheid weiß, wie Politik funktioniert und differenzierte, wahrheitsgemäße Informationen von populistischer Meinungsmache unterscheiden kann, kann auch mitdiskutieren über Klimawandel, Gleichberechtigung oder Staatsschulden und an der Wahlurne das richtige Kreuzchen setzen. Aber wie ist es um die politische Bildung in Deutschland bestellt? Insbesondere an Berufsschulen, die von wesentlich mehr Schüler_innen besucht werden als das Gymnasium?

Mahir Gökbudak, Professor Dr. Reinhold Hedtke und Professor Dr. Udo Hagedorn von der Universität Bielefeld untersuchten diese Frage in ihrem 4. Ranking Politische Bildung und kommen zu einem erschreckenden Ergebnis: In elf deutschen Bundesländern sind für den Politikunterricht an Berufsschulen weit weniger Zeitanteile vorgesehen als in der Sekundarstufe I allgemeinbildender Schulen. Dabei hätten Berufsschulen eine hohe Bedeutung für die politische Bildung Jugendlicher und junger Erwachsener – und damit nicht zuletzt auch für die Sicherung der Demokratie. Nicht nur würden sie von wesentlich mehr Lernenden besucht als das allgemeinbildende Gymnasium. Politik spiele im Alltag von Auszubildenden auch eine große Rolle, sagt Studienautor Mahir Gökbudak. "In dieser Altersphase – etwa zwischen 16 und 20 Jahren – entwickeln sie ein politisches Bewusstsein und erproben als Wahlberechtigte erstmals ihre Möglichkeiten, selbst politisch Einfluss zu nehmen.“ Die Ergebnisse der Studie zeigen: Das Potenzial beruflicher politischer Bildung wird wenig genutzt. Demnach nimmt in 14 Bundesländern das Leitfach der politischen Bildung einen Anteil von 1,7 Prozent an der gesamten Ausbildungszeit ein. Das entspricht durchschnittlich einer Schulstunde pro Woche.

Der Vergleich mit den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I zeigt, dass in 75 Prozent der Bundesländer Politikunterricht an Berufsschulen einen geringeren Anteil an der gesamten Lernzeit hat als in der Herkunftsschule. Bei dreijährigen Ausbildungsgängen nähern sich lediglich sechs Bundesländer dem Stand der Sekundarstufe I an oder gehen leicht darüber hinaus. Am schlechtesten schneiden übrigens Nordrhein-Westfalen, Berlin und das Saarland ab: Hier verringert sich der Zeitanteil Politischer Bildung um ungefähr die Hälfte. „Wir gehen davon aus, dass in der schulischen Realität politische Bildung sogar noch weniger Zeit eingeräumt wird – sei es, weil der Politikunterricht ausfällt oder für andere Zwecke verwendet wird.“, erklärt Professor Dr. Reinhold Hedtke. „Aus unserer Sicht ist das ein schwerer bildungs- und demokratiepolitischer Fehler.“

Die Wissenschaftler_innen untersuchte auch, wieviele ausgebildete Fachlehrkräfte für den Politikunterricht in der Sekundarstufe I eingesetzt werden, um die Qualität des Unterrichts zu beurteilen. Für das exemplarisch untersuchte Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt die Fallstudie, dass die Fächer der politischen Bildung nur unzureichend mit Fachlehrkräften versorgt werden. Dabei zeichne sich ein deutliches Gefälle zwischen Gymnasien, Real- und Gesamtschulen sowie Hauptschulen ab. Trotzdem gehören im Ländervergleich allgemeinbildender Schulen der Sekundarstufe I Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hessen erneut zu den Spitzenreitern im Ranking für 2020. In diesen drei Bundesländern erhält politische Bildung im Ländervergleich viel Unterrichtszeit. Im aktuellen Ranking am schlechtesten schneiden Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz ab.

Neu an der aktuellen Untersuchung ist auch die Erfassung der wöchentlichen Lern- und persönlichen Redezeit, die Schüler_innen der Sekundarstufe I im Fach politische Bildung durchschnittlich zur Verfügung stehen. Die Analyse zeigt: Schüler_innen haben während ihrer gesamten Schulzeit lediglich zwischen 12 und 139 an gymnasialen und zwischen 24 und 133 Minuten an nichtgymnasialen Schulformen für den politischen Austausch. „Das reicht nicht, um Kompetenzen in der politischen Kommunikation oder eine eigene politische Position zu entwickeln“, so Hedtke.

„Trotz dieser Defizite sehen wir aber, dass unsere Rankings öffentliche Diskussionen anstoßen – auch auf Ebene der Bildungspolitik. Das hat in einigen Ländern schon zu Verbesserungen geführt: Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen haben zum Beispiel den Anteil Politischer Bildung am Gesamtunterricht erhöht. Sachsen zog zudem den Beginn des Politikunterrichts an Oberschulen und Gymnasien auf Klasse 7 vor.“

Quelle:

Wieviel Politikunterricht gibt es an deiner Schule?

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung