Macht Dauer-Konkurrenz unsozial?
Studie zu Konkurrenzdruck in Schulen zeigt Schattenseiten des ewigen Wettkampfs
Wer wird Klassenbeste, wer gewinnt den Pokal, wer hat den besten Notendurchschnitt? Konkurrenzdruck ist allgegenwärtig - in Unternehmen, wo versucht wird, über Belohnungssysteme mehr Leistung, mehr "Performance" aus den Mitarbeitenden herauszukitzeln, aber auch in der Schule. Derartige Wettbewerbe können durchaus die Produktivität steigern, sagen Forschende der Uni Würzburg. In einer Studie konnten sie aber auch zeigen, dass ständiger Konkurrenzdruck auch Schattenseiten hat. Sie wollten herausfinden, was passiert, wenn Schüler:innen langfristig einem hohen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und welche Auswirkungen das auf ihr Verhalten und ihre Persönlichkeit hat.
Die Wissenschaftler:innen um Professor Fabian Kosse haben hierfür eine groß angelegte Feldstudie an Schulen in Chile durchgeführt. Dort gibt es aufgrund einer Besonderheit besoders aussagekräftige Daten zu diesem Thema. Ein von der chilenischen Regierung eingeführtes Programm mit dem Namen PACE soll mehr Schüler:innen aus sozial beanchteiligten Familien einen Platz an Universitäten ermöglichen. Das Programm garantiert den jeweils besten 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Schule einen Studienplatz. Wer zu dieser Gruppe gehört, muss die ansonsten vorgeschriebene zentrale Aufnahmeprüfung für Universitäten nicht mehr machen. Für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien ist dies sehr bedeutsam, da nur sehr wenige von ihnen über das reguläre, zentrale Zulassungssystem den Sprung an die Universität schaffen. Der Anreiz, unter die besten 15 Prozent zu kommen, ist also groß. Groß ist aber auch die lang andauernde Konkurrenz, die das Programm in den Schulen entfacht: Es handelt sich um einen über zwei Jahre laufenden Wettbewerb, denn wer zu den Besten gehört, entscheidet sich nicht in einer einzigen Abschlussprüfung, sondern aus allen Leistungen über die letzten Schuljahre hinweg.
Vor diesem Hintergrund wurde das Forschungsteam an 64 PACE-Schulen aktiv sowie an 64 Kontrollschulen, an denen es das PACE-Programm nicht gibt. Insgesamt waren mehr als 5.000 Schülerinnen und Schüler einbezogen. Die Forschenden werteten für ihre Studie zum einen Daten der chilenischen Regierung aus, zum anderen führten sie selbstentwickelte, ausführliche Befragungen von Schülerinnen, Schülern, Lehrkräften und Leitungspersonal durch.
Die Fragen betrafen einerseits die Schulatmosphäre (etwa, wie groß der Wettbewerb um die besten Noten ist), zum anderen zum Verhalten (z.B. wie sehr die Befragten bereit sind, anderen zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten).
Gesenkte Hilfbereitschaft, gemindertes Vertrauen
Das Ergebnis der Studie stimmt die Wissenschaftler:innen nachdenklich: Zwei Jahre intensiver Konkurrenz senken deutlich die Hilfsbereitschaft und das Vertrauen unter Jugendlichen. Und das nicht nur kurzfristig – selbst vier Jahre nach Ende des Wettbewerbs sind die Effekte noch da. „Der dauerhafte Wettbewerb verändert also nicht nur das situative Verhalten. Er beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung“, so Kosse.
Was tun gegen die negativen Folgen?
Das Team schlägt in seiner Publikation Maßnahmen vor, mit denen sich die negativen Folgen von PACE und vergleichbaren wettbewerbsbasierten Anreizsystemen für die Prosozialität womöglich vermeiden oder verringern lassen.
So könnte eine Umgestaltung der Wettbewerbsregeln helfen, den Konkurrenzdruck innerhalb einer Schule zu verringern, indem nicht die Besten innheralb einer Schule, sondern innerhalb einer Landesregion ausgewählt würden. So könnte auch eher Kooperation statt Konkurrenz geschaffen werden, denn liefe der Wettbewerb schulübergreifend ab, könnte das die Zusammenarbeit und Atmosphäre verbessern und die Prosozialität sogar steigern, nach dem Motto „Wir zusammen gegen die anderen Schulen“.
Ob dieses "Wir gegen die" allerdings das Zeug hat, die Persönlichkeitsentwicklung positiv zu beeinflussen, nur weil es aus der Schule ausgelagert wird, scheint fraglich. Das müsste dann in künftigen Studien nochmal wissenschaftlich geprüft werden.
Die Studie wurde im Journal of the European Economic Association veröffentlicht. T
Quelle
Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 4. September 2025