Keine gute Geschichte

Autorin: Lisa Roy

Düsseldorf: Wenn Arielle Freytag nicht gerade in der Social Media Agentur schuftet, unternimmt sie luxeriöse Kurztrips mit ihren Freund:innen oder genießt ihre Affären. Doch seit einiger Zeit ist alles anders. Die Leichtigkeit fehlt, es wurde zuviel und Arielle landete in einer Klinik - Diagnose Depression. Kann man danach einfach weitermachen? Wie soll der Alltag weitergehen, wenn er so abrupt unterbrochen wird? 

Essen Katernberg: Die Frage danach, wie es weitergeht, erübrigt sich, als ihre Großmutter stürzt. Arielle kehrt nach 12 Jahren das erste Mal zurück nach Katernberg. Sie hat ja eh nichts zu tun, seitdem sie aus der "Klapse" entlassen wurde. Also zieht sie kurzerhand zu Varuna, ihrer Großmutter. Zurück in die Wohnung, die ihre Freund:innen früher nur das Hexenhaus nannten, leben Enkelin und Großmutter nebeneinander, umeinanderherum, jede mit ihren eigenen Problemen, Gedanken und Ideen. Die eine mit kaputter Hüfte, die ihre Kakteen pflegt und Töpferkurse im Gemeindezentrum gibt, die andere mit einem immer gut gefüllten Wodkavorrat und dem Versuch, sich nicht wieder von ihrer Depression runterziehen zu lassen.

Gegenwart und Vergangenheit: Dass kurz vor ihrem Eintreffen zwei Mädchen aus Katernberg verschwunden sind, macht die Sache mit dem "nicht-runterziehen-lassen" nicht gerade einfacher für Arielle, schließlich ist vor 24 Jahren ihre eigene Mutter spurlos verschwunden und ließ sie zurück mit Varuna und der Unsicherheit über ihre eigene Vergangenheit, ihre Wurzeln. Gibt es Parallelen zwischen dem Verschwinden der Mutter und dem der Kinder?

Lisa Roys Debütroman ist nichts für schwache Nerven. Der Ton ist rau, unmittelbar und lässt die Leser:innen ein ums andere Mal kopfüber in die Geschichte stürzen und nach Luft schnappend wieder auftauchen. Arielle als Protagonistin hat raue Kanten, Ecken, an denen man sich beim Lesen stößt und teilt Gedanken, die weh tun. Dabei schafft Roy es, die Hauptfigur von sich selbst ausgehend größere Kreise ziehen zu lassen und verschiedene Themen geschickt miteinander zu verknüpfen. Denn auch wenn das Buch aus der Ich-Perspektive geschrieben ist und Arielles Gedanken viel um sich selbst und ihre eigenen Probleme kreisen, bleibt es nicht bei einer Nabelschau. Vielmehr verfasst Roy mit "Keine gute Geschichte" auch eine schonungslose Gesellschaftskritik. Dabei macht sie nicht nur auf rassistische und klassistische Probleme aufmerksam, sondern konfrontiert Leser:innen immer wieder auch mit eigenen Stereotypen. Eins meiner bisherigen Lesehighlights 2023.

Erschienen im Rowohlt Buchverlag

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Autorin / Autor: Johanna94 - Stand: 21. März 2023