Heimisch und doch fremd

Herausgeberin: Barbara Warning

Buchcover

„Wir schaffen das!“ – dieser Satz der Bundeskanzlerin ist inzwischen untrennbar mit der aktuellen Flüchtlingskrise verbunden und spaltet die Gemüter. Denn während einiges gut läuft, gibt es auch viele Probleme. Die politische Diskussion um und über Merkels ikonisches Statement ist das eine; mit Leben füllen müssen ihre Aussage jedoch die Menschen im täglichen Miteinander – Flüchtlinge wie Einheimische gleichermaßen. Wie das konkret aussieht, wie es gelingen kann, aber auch, welche Hindernisse und Schwierigkeiten dabei auftreten, darum geht es in Barbara Warnings Buch. Bemerkenswert offen und ausgewogen lässt sie Flüchtlinge mit ihren Geschichten und Erlebnissen zu Wort kommen, berichtet von gelungenen Beispielen mustergültiger Integration – aber schafft insbesondere in Interviews und Porträts von Helfern, Lehrern, Sozialarbeitern und anderen Fachleuten auch ein kritisches Gegengewicht, das offen die Defizite und ungelösten Probleme der aktuellen Situation aufzeigt. So entsteht ein tatsächlich bemerkenswert und geradezu überraschend ausbalanciertes Bild, das fern von idyllischer Schönfärberei oder pessimistischer Panikmache in der Verbindung von Innen- und Außenperspektive einen umfassenden Ein- und Überblick und somit ein tragfähiges Fundament für eine persönliche Meinungsbildung gibt.

Während selbstverständlich ein großer Fokus auf der akuten Migrationsbewegung liegt, zeigt Warning dabei jedoch auch auf, dass Flüchtlinge und deren Integration für Deutschland nichts grundsätzlich Neues sind, und dass sogar viele Deutsche in ihren Familien Fluchterfahrungen haben – sei es die Zuwanderung aus ehemaligen Ostgebieten nach den Zweiten Weltkrieg oder noch früher der Zuzug verfolgter Hugenotten aus Frankreich. So erzählen in dem Buch Russlanddeutsche aus der dritten Generation, aber auch etwa die Kinder von zu Zeiten des Wirtschaftswunders angeworbenen Gastarbeitern oder Boatpeople aus Vietnam. Die Erlebnisse, von denen sie berichten, sind unterschiedlichster Art und bilden ein buntes Mosaik von Möglichkeiten, auf welchen Wegen Integration gelingen und wo sie überhaupt ansetzen kann und sollte. Der zentrale Relevanz von Schule, Bildung und Spracherwerb, dem großen Völkerverständigungspotential von Sport, aber auch den Schwierigkeiten kultureller Differenzen einschließlich der Religion sind einzelne Überkapitel gewidmet, die jeweils mehrere Lebensgeschichten und Expertenmeinungen in sich vereinen. Ein kurzer Abschnitt mit fundierten Vorabinformationen leitet die einzelnen Textabschnitte jeweils ein.

Eine überzeugend vielschichtige und komplexe Auseinandersetzung mit der Flüchtlingskrise: Konkrete Beispiele sorgen für Verständlichkeit und Zugänglichkeit, sachliche und zugleich gut verständliche Informationen liefern Hintergrundwissen, der vielseitige Stil garantiert eine abwechslungsreiche und in der Tat auch spannende Lektüre. Nicht nur für Jugendliche und ohnehin thematisch Interessierte, sondern im Grunde für Jedermann eine bereichernde Lektüre, die ihr erklärtes Ziel, Verständnis zu schaffen und aufzuklären, ohne meinungsbildend in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, auf ganzer Linie erreicht. Eine absolute Leseempfehlung!

*Erschienen bei Ravensburger*

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    Autorin / Autor: fabienne - Stand: 6. September 2016