Grafikkarten, Chips 🍟🍿🥔 und Spiele

Lou Kramer  ist Developer Technology Engineer und erzählt von ihrem Studium, ihrem Arbeitsalltag und ihrer Leidenschaft

Ein aus vielerlei Einzelteilen zusammengebauter Wagen rast eine zerklüftete Wüstenlandschaft entlang, verfolgt wird er von Motorrädern und weiteren skurril aussehenden Karren, alles in einem industriell angehauchtem Stil. In der Kurve wird die Geschwindigkeit kurz heruntergedrosselt, die Motorräder holen auf und sind kurz darauf neben dem flüchtenden Fahrzeug. Dann geht alles ganz schnell. Das verfolgte Auto legt eine Vollbremsung hin, schaltet in den Rückwärtsgang und fährt in die entgegengesetzte Richtung. Die Verfolger und Verfolgerinnen haben damit nicht gerechnet, und bevor sie realisieren was passiert, ist das Fluchtauto schon hinter einer Felsformation verschwunden.

Ich kenne die Bewegungsabläufe mittlerweile auswendig, ich fahre immer dieselbe Strecke im selben Level, manchmal vertue ich mich auch und fahre gegen die Felsformation statt daran vorbei. First-Person-Shooter oder Rennspiele sind eigentlich nicht mein Ding, ich bin furchtbar schlecht darin. Zum Glück reicht es, wenn ich ein paar Sekunden überlebe und ich nicht direkt am Anfang schon gegen die Wand fahre. Es geht nicht darum, gut zu spielen, sondern nur darum zu spielen. Ich möchte die Performanz des Spieles messen, konkret die Anzahl der Bilder pro Sekunde (FPS – Frames per Second) herausfinden, und die einzelnen Berechnungen und Schritte abfangen, die benutzt werden, um ein einzelnes Bild zu generieren. Generell gilt, je höher die FPS sind, desto flüssiger läuft das Spiel.

*Developer Technology Engineer*
Ich bin Developer Technology Engineer bei Advanced Micro Devices (AMD), einer Halbleiterfirma die Prozessoren und Grafikkarten herstellt. In meiner Rolle arbeite ich zusammen mit verschiedenen Computerspieleherstellern, um sicherzustellen, dass deren Spiele so robust und performant wie möglich auf den Grafikkarten von AMD laufen. Wenn ich Freunden, Freundinnen und Familie schnell erklären möchte, was ich für einen Beruf habe, sage ich oft, dass ich technische Beraterin für Spielefirmen bin. Meine Expertise liegt im Bereich der Grafikkarten, ich kenne deren Architektur und Funktionsweise und wie diese optimal von einem Computerprogramm ausgenutzt werden können. Spieleentwickler und -entwicklerinnen sind oft unter immensem Zeitdruck und müssen einen straffen Zeitplan einhalten. Beim Programmieren gibt es immer viele verschiedene Wege, um ans selbe Ziel zu gelangen, doch nicht jeder Weg ist gleich performant und robust – und der performanteste und robusteste Weg kann sich von Plattform zu Plattform, also ob ein Spiel zum Beispiel auf einer Konsole läuft oder auf einem PC, von Grafikkarte zu Grafikkarte unterscheiden. Ich helfe den Spielefirmen dabei, einen Weg zu finden, sodass ihre Spiele bestmöglichst auf Grafikkarten von AMD laufen.

*Informatik ist nicht gleich Informatik*
Ich bin zwar Software Engineer, doch benötige ich für meine Arbeit auch ein fundiertes Wissen über die Hardware. Heutzutage gibt es viele verschiedene Bereiche von Software Engineering, die sich sehr unterscheiden können. Informatik ist nicht gleich Informatik, die Bandbreite ist riesig. Ich muss zugeben, als ich angefangen habe, Informatik zu studieren, wusste ich nicht einmal wirklich, was Informatik genau ist. Deshalb hatte ich mich auch für Informatik: Games Engineering der Technischen Universität München entschieden, weil ich dazu mehr Bezug hatte. Immerhin wusste ich, was ein Computerspiel ist. Und Computerspiele mochte ich, sie sind kreative, künstlerische und auch psychologisch interessante Produkte, die dennoch auf Technik basieren und sich deshalb von reinen Kunst-Studiengängen unterscheiden. Ich war nie gut in Kunst, auch wenn mich die Thematik Kunst und Kultur schon immer sehr angetan hat, nicht nur in Form von Videospielen, sondern auch in Form von Filmen und vor allem Büchern. Mathematik hingegen fiel mir nie schwer, doch hat mich das Fach nie interessiert. Für mich war Mathe eher ein Werkzeug, aber kein Fach, mit dem ich mich darüber hinaus weiter beschäftigen wollte. Informatik: Games Engineering erschien mir daher ein guter Kompromiss: es ist ein technischer Studiengang, ich brauchte also auch kein Portfolio von Kunstwerken, doch anders als andere technische Studiengänge konnte ich zu diesem einen Bezug aufbauen.

*Erstes Semester? Kulturschock!*
Das erste Semester war dennoch ein kleiner Kulturschock für mich. Im Gymnasium hatte ich als Leistungsfächer Latein, Alt-Griechisch und Sozialkunde, Informatik hatte ich nur während meines Auslandsaufenthaltes in den USA, in dem wir ein bisschen Programmieren gelernt hatten – das ging über die einfachsten Grundlagen jedoch nicht hinaus und schon nach einer Woche an der Uni war das abgehakt. Auch meine Kommilitonen und Kommilitoninnen unterschieden sich von meinen ehemaligen Klassenkameraden – und kameradinnen. Auf dem Gymnasium gab es in meinem Jahrgang ungefähr nur ein Drittel Schüler und zwei Drittel Schülerinnen, jetzt jedoch war das Verhältnis neunzig Prozent Studenten und zehn Prozent Studentinnen. Doch das war eigentlich gar nicht das Problem. Am meisten hatte ich Themen aus dem Kulturbereich vermisst, Diskussionen über Philosophie und Geschichte, über Ethik und Politik. Im ersten Unijahr hatte ich dann auch die Schnappsidee mit mir herumgetragen, irgendwann noch Kunstgeschichte zu studieren.

*Informatik wird in fast jedem Bereich gebraucht*
Warum habe ich dann überhaupt erst mit Informatik angefangen? Ein wichtiger Grund war das spätere Berufsbild. Von einem schlecht bezahlten Praktikum zum nächsten zu rennen klang nicht wirklich verlockend, und mir war schon immer wichtig, möglichst unabhängig zu bleiben. In der Informatik besteht eine große Nachfrage, das ist jedenfalls mein bisheriger Eindruck. Aber vor allen Dingen: Informatik wird mittlerweile in fast jedem Bereich gebraucht, es ist also durchaus möglich, von einer Industrie in eine andere zu wechseln. Und falls Informatik doch nichts gewesen wäre, hätte ich immer noch die Fachrichtung wechseln können. Das habe ich schließlich nicht getan – und heute bin ich sehr froh darum. An den ‚Kulturschock‘ habe ich mich mit der Zeit gewöhnt und nutze mittlerweile meine Freizeit, um mich Themen außerhalb meines Berufsfeldes zu widmen. Dies sorgt gleichzeitig auch für einen idealen Ausgleich vom Berufsleben und hilft beim Abschalten und ‚Kopffreikriegen‘.

Keine Vorkenntnisse? Kein Problem!

Das Studium selbst war eigentlich nie ein Problem, obwohl ich bis auf das bisschen Programmieren eigentlich keine Vorkenntnisse hatte. Mir fehlte glaube ich auch ein grundlegendes Wissen von der Thematik. Im ersten Semester hatte ich zum Beispiel den Kurs über Grundlagen in Datenbanken vorgezogen, ohne zu wissen, was eine Datenbank ist. Und dann saß ich in der Vorlesung, und der Professor kam nicht einmal auf die Idee, zu erklären, was eine Datenbank denn jetzt genau ist. Ich hingegen hatte auch nie nachgefragt, weil irgendwie alle um mich herum das schon wussten (ob dies tatsächlich der Fall war sei dahingestellt). Erst irgendwann im Laufe des Semesters fiel der Groschen. Ähnliches wiederholte sich in anderen Kursen, so zum Beispiel auch im Kurs über Rechnerarchitektur, in dem die einzelnen Komponenten eines PCs erklärt wurden: was ist eine CPU, was ist RAM? Bis dahin wusste ich nicht einmal, dass es (zumindest unter Informatikstudenten und -studentinnen) üblich ist, seinen eigenen PC zusammenzubauen, ach … ich wusste nicht einmal, dass dies möglich war! Mein damaliger PC war irgendeine Komplettlösung aus dem Discounter.

*Nichtwissen aushalten!*
Das Fehlen von Vorkenntnissen hatte ich allerdings nie als wirklichen Nachteil empfunden. Immerhin ging ich ja genau deswegen zur Universität, um solche Dinge zu lernen – ich vermute jedoch, dass es zum Nachteil werden kann, wenn man sich dadurch einschüchtern lässt und das Gefühl bekommt, nur weil man anfangs angeblich weniger weiß als alle anderen auch gleichzeitig schlechter ist. Aber ich denke, für mich persönlich war es eher ein Vorteil. Ich habe dadurch schon früh gelernt, Nicht-Wissen auszuhalten und zu akzeptieren und dass solche Dinge einfach erlernt werden können. Und tatsächlich, nachdem ich nach der Uni bei AMD anfing, stellte sich heraus, dass dort im Prinzip jeder mit keinerlei bis nur wenig Vorkenntnissen anfängt, da die Produkte, mit denen wir arbeiten, noch nicht auf dem Markt sind.
Am Anfang des Studiums hatte ich auch noch keine klare Vorstellung davon, was genau ich tun wollte, ich liebäugelte lange Zeit auch eher mit Game Design oder mit Game Storytelling. Irgendwann musste ich jedoch einsehen, dass meine Stärke im Technischen liegt und nicht im Design. Das hat allerdings bis zum Ende meines Bachelors gebraucht!

Mathe, Physik, Biologie - alles in praktischer Anwendung

Im Masterstudiengang war für mich dann schon relativ klar, dass ich etwas mit Computergrafik machen will. In der Computergrafik hat man ein visuelles Ergebnis der eigenen Arbeit. Die Frauenquote ist hier noch geringer als in der Gesamtinformatik. Dies kann zum einen überraschen, da visuelle Ergebnisse erstmal weniger trocken klingen, andererseits ist die Computergrafik auch sehr mathematisch und verlangt ein grundlegendes Verständnis von Raumgefühl und Projektionen. Mich jedenfalls hat der visuelle Bezug immer sehr angesprochen, vor allem auch weil ich es einfach mag, mir schöne Bilder anzuschauen.
Gleichzeitig ist das Thema in Bezug auf Videospiele sehr spannend: Sie sind ein treibender Faktor für neue Entwicklungen in der Computergrafik. Die visuelle Grafik von Videospielen gleicht sich mehr und mehr der von Filmen an, es wird immer realistischer. Dabei sind die Anforderungen bei Spielen, bei sogenannten Echtzeitanwendungen, ganz anders als bei Filmen. Bei Filmen hat man viel mehr Zeit, ein einzelnes Bild zu erzeugen, oftmals werden viele Stunden dafür in Kauf genommen. Bei Spielen hat man nur ein paar Millisekunden. Effizienz und optimale Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen sind dabei wichtige Faktoren. In den paar Millisekunden, die zur Verfügung stehen, muss berechnet werden, was auf dem Bild zu sehen ist, wie die einzelnen Objekte beleuchtet werden und auch visuelle Effekte wie Rauch, Explosionen und Wasser. Dabei werden physikalische Konzepte angewandt, jedoch auch viele Tricks und Mogeleien, so dass das Ergebnis zwar echt aussieht, aber in Wahrheit physikalisch nicht korrekt ist. Für Forschungssimulationen kann physikalische Korrektheit sehr wichtig sein, doch für Videospiele ist das visuelle Ergebnis und das Gefühl für Echtheit wichtiger als tatsächliche physikalische Korrektheit. Auch ein Verständnis davon wie Menschen Farben wahrnehmen, spielt dabei zum Beispiel eine Rolle. Hier spielen Themen von der Physik und Biologie mit hinein, das alles in praktischer Anwendung.

*Bei Zukunfstechnologien vorne mit dabei*
In meinem Beruf muss ich nicht nur vieles über den derzeitigen technologischen Stand in der Computergrafik und von Grafikkarten generell wissen, sondern bin auch ganz vorne mit dabei, wenn es um neue Zukunftstechnologien geht. Immerhin stellt AMD immer neue Grafikkarten mit neuen Technologien her, die zum Teil erst nach Jahren der Entwicklung auf dem Markt erscheinen. Ein ständiges Neu-Lernen ist dabei Voraussetzung. Es gibt immer etwas Neues, das Wissen von vor einem Jahr kann zum Teil schon veraltet sein.

Als eine der ersten über diese neuen Zukunftstechnologien zu lernen bedeutet allerdings auch, andere im Gegenzug darüber zu informieren. Ich arbeite oft beratend und auch lehrend. Ich habe viel direkten Kontakt mit Spielestudios und deren Entwicklern und Entwicklerinnen, und helfe ihnen bei konkreten Problemen, Fragen und Projekten. Ich gehe öfters auf Konferenzen, halte Vorträge, schreibe technische Artikel. Für mich ist mein Beruf die perfekte Kombination aus technischen Aufgaben wie Programmieren und der Analyse von Spielen, sowie sozialen Aufgaben wie dem ständigen Kontakt zu den Spielefirmen und den lehrenden Tätigkeiten in Form von Vorträgen und Artikeln.

*Mit Spielen zu arbeiten macht einfach Spaß*
Ein großes Plus für mich ist auch, dass ich viel herumkomme. Eines meiner liebsten Hobbys ist Reisen. Und da ich oft auf Geschäftsreisen bin, kann ich dies wunderbar mit meinem Beruf verbinden. Und ja, mit Spielen zu arbeiten macht einfach Spaß – denn auch wenn ich keine Spieletesterin bin, komme ich nicht darum herum, ab und an auch die Spiele spielen zu müssen! Es ist Wahnsinn, wie sich über die Wochen hin der Zustand eines Spieles kontinuierlich ändert, all die verschiedenen Grafikstile zwischen den unterschiedlichen Spielen zu sehen und zu helfen, dass die Spieler und Spielerinnen eine reibungslose Spieleerfahrung bekommen. Lustigerweise, was allerdings glaube ich nicht unüblich in der Spieleindustrie ist, spiele ich privat nur noch selten. Als Schülerin und auch als Studentin habe ich viel mehr gespielt, jetzt eigentlich nur noch ab und zu mit Freunden. Nach einem Tag vor dem Rechner ist mir einfach nicht mehr danach, noch weiter vor dem Bildschirm zu sitzen.

*Homeoffice ist möglich*
In meinem Beruf habe ich auch die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Am Anfang meiner Karriere war ich noch in München stationiert und bin täglich ins Büro gefahren. Mittlerweile bin ich jedoch nach Stockholm gezogen, mit Unterstützung von AMD und unter Einbehaltung meiner dortigen Tätigkeit. In Stockholm bin ich näher an den Spielefirmen, die ich betreue, und kann sie öfters persönlich besuchen, ohne direkt in den Flieger steigen zu müssen. Da wir derzeit kein Büro in Stockholm haben, muss ich hier von zu Hause aus arbeiten. Der Umzug nach Stockholm war freiwillig, und ich schätze mich sehr glücklich, die Wahl und die Möglichkeit dazu gehabt zu haben.

Es gibt keinen besseren Zeitpunkt für Frauen als jetzt

Die Frauenquote in meinem Fachbereich ist überschaubar. Waren es wie bereits erwähnt am Anfang des Studiums noch um die zehn Prozent, wurden es immer weniger Frauen um mich herum. Im Masterstudiengang kam es öfters vor, dass ich die einzige Studentin in einem Kurs war, und auch jetzt im Berufsleben lässt sich die Anzahl an Frauen bei vor allem kleineren, technisch fokussierten Events und Konferenzen mitunter an einer Hand abzählen. Die meisten meiner direkten Kontakte bei den Spielestudios sind Männer.
Ich kann nicht verleugnen, dass es schön wäre, wenn sich das Verhältnis etwas mehr angleichen würde. Akzeptanzprobleme habe ich bisher jedoch noch nicht erlebt. Natürlich stehe ich noch am Anfang meiner Karriere, aber bisher habe ich tatsächlich eher vorwiegend positive Erfahrungen gemacht. Zudem gibt es verschiedene Förder- und Netzwerkprogramme gezielt für Frauen. So habe ich während meines Studiums zum Beispiel drei Reisestipendien zu Konferenzen bekommen, die für Frauen ausgeschrieben waren. Bis heute profitiere ich von den dadurch entstandenen Kontakten und Netzwerken. Generell erlebe ich den Zusammenhalt unter uns Frauen als sehr gut, wir wissen, dass wir alle in einer ähnlichen Position sind und helfen einander. Auch wenn es immer noch eine Männer dominierte Industrie ist, gab es keinen besseren Zeitpunkt für Frauen als jetzt: Die Tech-Industrie heißt uns willkommen und ist bereit, unseren Erfolg zu unterstützen und zu feiern. Wenn diese Art von Arbeit also deinem Interesse entspricht, so wie es bei mir der Fall war, dann komm und werde auch Teil dieser Welt!

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Autorin / Autor: Lou Kramer - Stand: 2. Oktober 2020