Keine Ausreden mehr

Studie: Geschlechtergerechte Sprache macht Texte nicht unverständlicher

Bild: LizzyNet

Wenn Texte wie Verträge, Pressemitteilungen oder Artikel auf die Nennung beider Geschlechter verzichten, beginnen sie oft entschuldigend mit der Floskel „Aus Gründen der Verständlichkeit werden im Text nur männliche Formen verwendet. Frauen sind selbstverständlich immer mitgemeint.“ Aber leidet die Textverständlichkeit wirklich, wenn beispielsweise "die Kundin" explizit mitgenannt wird? Dieser Frage gingen Forscher_innen des Instituts für Pädagogische Psychologie der Technischen Universität Braunschweig jetzt auf den Grund.

*Streit um das generische Maskulinum*
Der Streit darüber, wie die Geschlechter in Texten repräsentiert werden sollten, ist nicht neu. Diejenigen, die das sogenannte „generische Maskulinum“ befürworten, argumentieren, dass es eine im Deutschen gut etablierte Regel sei, nur die männliche Form zu verwenden, wenn sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind, und dass die Texte dadurch einfacher und verständlicher würden. Diejenigen, die sich für eine geschlechterbewusste Sprache einsetzen, argumentieren hingegen, dass das Weglassen der weiblichen Formen die Rechte, Interessen und Leistungen von Frauen weniger sichtbar macht.

Für letzteres Argument sprechen in der Tat zahlreiche Studien, die besagen, dass die Verwendung männlicher Formen bei den Lesenden vor allem Vorstellungen von Männern hervorruft. Werden hingegen sowohl männliche als auch weibliche oder neutrale Formen verwendet, rufe dies deutlich ausgewogenere Vorstellungen von Männern und Frauen hervor. So zeigen Experimente mit Stellenausschreibungen zum Beispiel auch, dass Frauen eher für eine Position im Management als passend und geeignet angesehen werden, wenn beide Geschlechter explizit aufgefordert wurden, sich zu bewerben.

*Stromvertrag nur für Männer?*
Aber zurück zur Text-Verständlichkeit: In dem Experiment von Dr. Marcus C. G. Friedrich und Prof. Dr. Elke Heise von der TU Braunschweig ging es darum, ob eine geschlechterbewusste Sprache Texte – wie so oft behauptet – tatsächlich weniger verständlich macht. Sie nahmen dafür einen authentischen Stromliefervertrag eines deutschen Stromversorgers unter die Lupe, der aus 938 Wörtern bestand und nur männliche Formen verwendete: „Kunde“, „Kontoinhaber“ oder „er“. Um den Text in eine geschlechterbewusste Sprache zu übersetzen, ersetzten sie diese Stellen systematisch durch sogenannte Beidnennungen, z. B. „Kunde oder Kundin“. Damit wuchs er natürlich auf 1.013 Wörter an.

Von Textverständlichkeits-Experten wurde der Original-Text allerdings generell als unnötig kompliziert bewertet, deshalb erarbeiteten sie eine verständlichere Version des Original-Textes (1.364 Wörter). Auch von dieser optimierten Version des Stromliefervertrags wurde eine geschlechterbewusste Version erzeugt (1.519 Wörter).

*Die Nennung beider Geschlechter macht Texte nicht komplizierter*
In einem Experiment wurde dann 355 Studierenden per Zufall eine der vier Versionen des Textes vorgelegt. Das Ergebnis zeigte, die Testpersonen konnten keine Verständnis-Unterschiede zwischen den Texten, die nur männliche Formen verwendeten, und den Versionen, die sowohl männliche als auch weibliche Formen enthielten, bemängeln.

Wohl aber zeigten sich große Unterschiede zwischen den zwei Versionen des Original-Textes und den beiden optimierten Versionen: Die optimierten Versionen wurden als deutlich verständlicher bewertet. Die Ergebnisse sollen in Zukunft mit anderen Personengruppen noch einmal geprüft werden, zum Beispiel an Schüler_innen. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Studien zum Einfluss geschlechterbewusster Sprache und Textverständlichkeit und sprechen dafür, dass eine geschlechtergerechte Sprache – durch Beidnennungen – Texte nicht unverständlicher macht.

Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe des „Swiss Journal of Psychology“ veröffentlicht.

Quelle:

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 11. Juni 2019