Der Unterstrich spricht alle an

Ola 13 und Akii über den "Gender_Gap" und die Frage, ob wir überhaupt eine geschlechtergerechte Sprache brauchen?

Über den Unterstrich gestolpert...

Vor einigen Tagen bin ich auf einer Homepage einer merkwürdigen Schreibweise begegnet: „Die Autor_innen der Mädchenmannschaft…“. „Autor_innen“? Ich habe mich ein bisschen im Netz umgesehen und herausgefunden, dass es sich um eine neue Schreibweise namens „gender_gap“ (aus dem Englischen: gender = Geschlecht; gap = Lücke) handelt, die dazu dienen soll, sprachlicher Diskriminierung der Geschlechter entgegenzuwirken. Eine Form geschlechtergerechter Sprache also – aber warum der Unterstrich?

*Es gibt viele Geschlechter!*
Vielleicht habt ihr ja auch schon bemerkt, dass es nicht nur „Männer“ und „Frauen“ gibt. Kennt ihr das Model Andreja Pejic? Andreja Pejic ist trans⚹. Sie wurde als Mann geboren, lief sowohl für Männer- als auch für Frauenmode über den Laufsteg, und hat nun eine Geschlechtsangleichung zur Frau gemacht. Oder erinnert ihr euch an Conchita Wurst, die den Eurovision Song Contest 2014 gewonnen hat? Die bärtige Diva macht darauf aufmerksam, dass es unterschiedliche Lebensentwürfe und Identitäten gibt und will Diskriminierung entgegenwirken. Von der Kindheit an werden die Geschlechter konstruiert und wir dadurch ebenso – je nachdem, was wir in der Hose haben. Zum Beispiel wird oft behauptet, Jungs sollen stark sein wenn sie sich weh tun, Mädchen sind „arme Mäuschen“; Mädchen sollen schön sein, wie wir das in der Sendung „Germany's next Topmodel“ jede Woche erfahren, Jungs sollen technisch begabt und erfolgreich sein. Aber das Geschlecht ist so viel mehr als biologische Merkmale wie Vulvina oder Penis! Was ist, wenn ein Junge ein Mädchen sein oder mit Puppen spielen will? Was ist, wenn ein Mensch kein eindeutig männliches oder weibliches Geschlecht hat, sondern inter⚹ ist? Was ist, wenn ein Mädchen sich für Technik interessiert und kein rosa Prinzessinnenkleid tragen möchte, sondern lieber Hosen und Bart? Erst kürzlich gab´s im Netz ein Beispiel von Sophie Trow, einem 8- jährigen Mädchen, das sich keine Schuhe mit Blümchen, sondern mit Dinosauriern kaufen wollte. Der Schuhverkäufer hat ihr die Schuhe verweigert, weil sie nur für Jungs wären. Sophie hat sich erfolgreich dagegen gewehrt und viele haben sich mit ihr solidarisiert. Die Beispiele zeigen, dass es zwar viele Stereotypen, aber in Wirklichkeit keine 100%ige Frau und keinen 100%igen Mann gibt. Viele Menschen sind trans⚹ oder inter⚹ oder fühlen sich einfach in den einengenden Kategorien „Frau“ und „Mann“ nicht zu Hause. Mit dem sogenannten gender_gap sollen alle Menschen angesprochen werden. Warum ist das wichtig?

*Das generische Maskulinum bzw. wie wichtig ist Sprache?*
Frauen wurden lange Zeit in der deutschen Sprache nicht beachtet. Berufsbezeichnungen beispielsweise waren bis in die 1990er Jahre überwiegend männlich. Dies spiegelte wider, dass die meisten Berufe in der Vergangenheit nur von Männern ausgeübt werden durften. Durch die Frauenbewegungen hat sich vieles verändert, trotzdem werden Frauen und andere Geschlechter in der Sprache meistens außen vor gelassen. In Zeitungen, Fernsehen, Unterricht und Internet wird immer noch überwiegend die männliche Form („Schüler, Ärzte, Erzieher“), das sogenannte „generische Maskulinum“, verwendet. Das Problem ist, dass mit dem generischen Maskulinum zwar alle Geschlechter „mitgemeint“ sind, aber häufig nicht mitgedacht werden. Zum Beispiel: Hören wir den Satz „Der Rechtsanwalt hat seinem Mandanten dazu geraten eine Anzeige zu machen“ denken wir wahrscheinlich nicht daran, dass um es zwei Frauen oder um inter⚹- oder trans⚹-Personen gehen könnte. Sprache ist mehr als nur Informationsaustausch! Sie spiegelt wider, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und bewerten. Sprache konstruiert unsere Wirklichkeit, beeinflusst unser Denken und unsere Gefühle. Das Wort „Liebe“, zum Beispiel, ist erstmal einfach nur ein Begriff. Dieser Begriff löst aber bei jedem von uns unterschiedliche Bilder und Gefühle aus. Und genau so ist das auch mit den Wörtern „Frau“ und „Mann“.

*Geschlechtergerechte Sprache*
Bereits in den 1980er Jahren haben sich Frauen dafür stark gemacht, auch in der Sprache repräsentiert zu werden. Wir alle kennen die Schreibweise „SchülerInnen, ÄrztInnen“. Die Entwicklung des Binnen-I war also schon mal ein erster Schritt, die Realität ein bisschen besser abzubilden. Seitdem wurden auch andere Schreibweisen entwickelt, wie z.B. „Schüler/innen“ und die Nennung beider Geschlechter („Schülerinnen und Schüler“). Diese Schreibweisen bilden jedoch nur die zwei Kategorien Mann und Frau ab. Andere Geschlechtsidentitäten werden dadurch in der Sprache außer Acht gelassen. Jetzt machen sich Menschen jenseits dieser zwei Geschlechter dafür stark, einen Platz in der Sprache und im Bewusstsein der Menschen zu bekommen – mit dem gender_gap, das absichtlich eine „Lücke“ für alle Geschlechter lässt, uns irritiert und das Zwei-Kategorien-Denken infrage stellt. Ebenso wird von manchen das gender- Sternchen („Schüler⚹innen“) verwendet.

*„Das ist aber ein Rechtschreibfehler und stört den Lesefluss“*
Viele Menschen weigern sich diese neue Formen zu verwenden: diese Schreibweise würde den Lesefluss stören, wäre zu umständlich, ein Rechtschreibfehler und überhaupt überflüssig. Ehrlich gesagt kann ich mir vorstellen, dass sich dahinter etwas anderes verbirgt, nämlich die Angst, die bestehenden Geschlechterstereotypen aufzugeben. Denn seit der letzten Rechtsschreibreform in Deutschland haben wir Wörter wie „Flusssenke“ oder „Imbissstuhl“ in der Sprache, weil das „ß“ mit „ss“ ersetzt worden ist. Damals wurde die Reform heftig kritisiert. Die Schreibweise gehört aber mittlerweile zu unserem Alltag. Das ist ein banales Beispiel, das aber zeigt, dass (früher „daß“) Veränderungen in der Sprache möglich sind. Umso wichtiger sind Neuerungen, die unser Denken verändern und zu mehr Gleichberechtigung führen. Ich begrüße das gender_gap, denn es ermöglicht uns einen gleichberechtigten Umgang miteinander und macht uns bewusst, dass es so viel mehr als „Frau“ und „Mann“ gibt. Letztendlich sind wir alle Menschen und ich möchte als solche_r angesprochen werden.

Links

Lesetipps:

  • Liebe macht anders von Karen-Susan Fessel
  • Middlesex von Jeffrey Eugenides

Stichworte

Geschlechtergerechte Sprache  geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen

Autorin / Autor: von Ola 13 und Akii - Stand: 31. August 2015