Fehlende Gefühle im Unterricht

Studie: Emotionale Kompetenzen spielen in Lehrplänen des deutschen Schulsystems kaum eine Rolle

Wie soll man reagieren, wenn der Tischnachbar plötzlich einen Wutanfall, Heulkrampf oder eine Panikattacke bekommt? Was kann man tun, um die Neue in der Klasse besser zu intergrieren? An welchen Schräubchen müsste gedreht werden, wenn die Teamwork einfach nicht gelingen will? All das könnte in der Schule gelehrt werden, wenn es nicht immer nur um Faktenwissen ginge, sondern auch um den Umgang mit Gefühlen und Mitmenschlichkeit.
In den deutschen Lehrplänen wird aber laut Forscher:innen der Freien Universität Berlin auf die Stärkung von emotionalen Kompetenzen nur wenig Wert gelegt. Fähigkeiten wie das Erkennen, Ausdrücken und Regulieren von Emotionen sowie die Fähigkeit zur Empathie scheinen also im Unterricht kaum thematisiert zu werden.

"Emotionale Kompetenz" wird in Schulfächern sträflich vernachlässigt

„Eine umfassende Integration von emotionalen Kompetenzen über verschiedene Fächer, Altersstufen und Schulformen hinweg wäre eine wichtige strukturelle Basis, um die Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung von jungen Menschen im Schulalltag zu stärken“, betonten die Studienautoren Julius Grund und Jorrit Holst vom Institut Futur am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin. Dabei zeigten bisherige Forschungsarbeiten, dass diese Kompetenzen nicht nur zu besseren akademischen Leistungen und Berufserfolg beitragen, sondern auch langfristig die körperliche und psychische Gesundheit verbessern.
Dennoch gab es bislang kaum Untersuchungen zur Frage, inwiefern emotionale Kompetenzen tatsächlich in den Strukturen des Bildungssystems – wie zum Beispiel in Lehrplänen oder in der Lehrkräfteausbildung - verankert sind. Die Autoren analysierten für ihre Studie eine systematische Auswahl an 422 Lehrplänen aus allen Bundesländern, Schulformen und über ein breites Fächerspektrum hinweg hinsichtlich des Stellenwerts von emotionalen Kompetenzen.

„Es zeigte sich, dass allein 42 Prozent der deutschen Lehrpläne die Stärkung von emotionalen Kompetenzen überhaupt nicht als Ziel aufgreifen“, betonten die Autoren. Im Durchschnitt finde sich ein Verweis auf nur jeder dreizehnten Seite. Dabei sei kein zeitlicher Trend festgestellt worden: Neuere Dokumente enthalten also nicht mehr Bezüge zu emotionalen Kompetenzen als ältere.

Auch bestehen deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Fächern: am stärksten finden sich Verweise auf die Stärkung emotionaler Kompetenz im Fach Ethik/Philosophie, während wenige Verweise beispielsweise in den Naturwissenschaften, Informatik oder Wirtschaft gefunden wurden. „Obwohl es breite empirische Belege in der modernen Wissenschaft zur Bedeutung von sozial-emotionalem Lernen für eine gelingende menschliche Entwicklung gibt, wurde in der vorliegenden Studie eine unzureichende Verankerung von emotionaler Kompetenz in den deutschen Lehrplänen festgestellt“, sagen die Forscher.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 20. April 2023