Edith Holler
Autorin: Edward Carey
Mit „Edith Holler“ schrieb Edward Carey ein obskures, außergewöhnliches, modernes Märchen über die gleichnamige Protagonistin. Das 2024 erschienene Buch spielt im Jahr 1901, doch einige Inspiration dürfte der Autor in der Corona-Zeit gefunden haben: Während ihn nach eigenen Angaben die Sehnsucht in Erinnerungen an seine Heimatstadt Norwich schwelgen lassen hat, schrieb er seiner Hauptperson Edith Holler eine besondere Bürde auf den Leib: Das junge Mädchen wurde nach der Geburt verflucht und durfte seitdem das Holler Theater nicht mehr verlassen. Widersetze sie sich dem Fluch, so würden sie und das Theater sterben.
So lernen wir die 13jährige als ein kränkliches, aber sehr fantasievolles Kind kennen, das trotz ihres Fluchs ein sehr aufgeregtes Leben führt. Denn als Kind des Theaters kommt ganz Norwich – eine kleine, alte, englische Stadt – zu ihr. Sie gilt als stumm und führt in einem kleinen Schauraum kurze Stummschauspielereien auf, während ihre Familie die großen Stücke auf die Bühne bringt. Ihre Familie besteht aus Onkeln und Tanten, egal ob blutsverwandt oder nicht, die alle ihre feste Funktion im Theater haben. Besonders wichtig sind ihr Vater, Hauptdarsteller vieler Theaterstücke, und ihre Tante Bleachy, die hinter den Kulissen stets alle sauber schrubbt. Nun ist so ein Leben in einem Haus trotz des bunten Treibens für ein Kind manchmal langweilig und sie entdeckt ihre Liebe zu den Büchern. Dabei kommt sie einem erschreckenden Geheimnis auf die Schliche: In Norwich verschwinden Kinder!
Der Roman ist am Aufbau eines Theaterstücks angelehnt und besteht aus fünf Akten mit einzelnen Kapiteln. Edith verfasst im Lauf des Buchs ihr eigenes Stück und nennt sich fortan Dramatikerin, mit dieser Entwicklung begleiten wir sie auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Parallel dazu lernt ihr Vater eine neue Frau kennen, die er zu Edith’s Stiefmutter machen will. Nur harmonieren Edith und Margarete nicht miteinander und Edith sieht in ihr etwas, das kein anderer Norwicher sehen mag: Margarete scheint in das Verschwinden der Kinder verwickelt zu sein! Doch wer glaubt einem 13jährigen Kind eine solche Geschichte? Daher muss Edith klug vorgehen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Der Roman ist schwer einzuordnen, er gleicht keinem klassischen Roman und ist am ehesten einem modernen Märchen gleichzusetzen. Mit eindrucksvollen stilistischen Mitteln vermittelt der Autor uns moralische Grundsätze und zeigt dem Leser auf, dass ein Kind Aufmerksamkeit und Beachtung verdient.
Alles in allem ist Edith Holler ein lehrreiches, andersartiges Buch. Es kommt mit seltenen Metaphern daher und wird durch Skizzen und Abbildungen aufgewertet, die vom Autor stammen. Ich kann den Roman jedem empfehlen, der offen für ein besonderes Lesevergnügen im Märchenstil ist.
Erschienen bei C.H. Beck
Autorin / Autor: Franziska - Stand: 6. August 2025