Die Zeit der Wunder

Autor: Anne-Laure Bondoux
übersetzt von Maja von Vogel

Buchcover Die Zeit der Wunder

Koumaïl und Gloria leben im Kaukasus. Und sie sind auf der Flucht, denn es ist Krieg. Es ist schon lange Krieg, Koumaïl, sieben Jahre alt, kann sich nicht an eine andere Zeit erinnern. Manchmal räumen die beiden ihr Marschgepäck in ein Zimmer, eine Hütte. Manchmal bleiben sie länger an einem Ort und der Junge lernt andere Menschen kennen - Menschen wie Fatima, die ihre Augen nicht mehr öffnet, seit sie gesehen hat, wie ihr Vater erschossen wurde. Oder wie Stambek, der geistig zurückgeblieben ist, seitdem er drei Tage unter den Trümmern eines Hauses lag, das während eines Bombenanschlages über ihm eingestürzt war. Aber zwischen all diesen schrecklichen Erlebnissen schafft der Junge es auch glücklich zu sein. Er entdeckt seine erste Liebe, findet Freunde. Nur irgendwann wandern Gloria und Koumaïl immer weiter. Sie wollen nach Frankreich, das Land der Menschenrechte, denn dort - so erzählt Gloria jeden Abend vor dem Einschlafen - komme er, Koumaïl, wirklich her. Er sei gar nicht ihr Sohn. Gloria hätte nur noch das kleine Kind aus dem Zug retten können, der durch Sabotage in der Nähe von Glorias Heimat entgleist war.

Koumaïl beschreibt in diesem Buch alles, an das er sich aus seiner Kindheit erinnern kann. Die ewige Flucht, ihre Aufenthalte, Glorias Husten und ihre Geschichten. Vor allem Glorias Geschichten. Und wie die ganze Geschichte ausging. Gloria und Koumaïl werden getrennt, als der 12-Jährige von Zollbeamten aufgegriffen wird, in Frankreich, alleine in einem Land, dessen Sprache er nicht versteht. Nur „Ichbinbläsfortünuntichbürgaderfranzöschenrepublikdasisdiereinewaheit.“ kann er auf Französisch sagen. Aber Koumaïl hat Glück: Er darf bleiben, lernt Französisch, schließt die Schule ab. Und an seinem 18. Geburtstag wird er französischer Staatsbürger. Jetzt kann er sich auf die Suche nach seiner Goria machen, die er nie vergessen konnte. Es ist eine kleine Reise auf der Landkarte, aber eine große Reise in seine Vergangenheit, ein Neuentdecken der Wahrheit.

Vielleicht hätte man all die Schrecken des Bürgerkrieges im Kaukasus intensiver darstellen können, aber das ist nicht das, worauf es ankommt. Koumaïls Geschichte ist nicht pessimistisch, trotz allem. Die Autorin schafft es, den Schwerpunkt nicht auf all die schrecklichen Erlebnisse zu legen. Stattdessen schimmert zwischen den Seiten eine Hoffnung. Das macht das Buch zu einem besseren. „Die Zeit der Wunder“ ist nicht das Wunderwerk schlechthin, aber diese Haltung, dem Leben zu begegnen, ist ein Grund es zu lesen. Wer einmal ein bisschen Hoffnung schöpfen will, der sollte sich dieses Buch kaufen. Es steckt viel mehr drin, als man auf den ersten Blick bemerkt.

*Erschienen im Carlsen Verlag*

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Autorin / Autor: islenski hesturinn - Stand: 7. März 2011