Die Wahrheit über Facebook

Warum ich zur Whistleblowerin wurde und was die größte Social-Media-Plattform der Welt so gefährlich macht
Autorin: Frances Haugen
Aus dem Englischen von Karsten Petersen, Anja Lerz

„It’s free and always will be.“ So lautete 2008 einer der Slogans des nun zu einem Monopol avancierten Social-Media-Unternehmens Facebook – seit 2022 mit Instagram und WhatsApp auch META genannt. Anfang August 2019 stieg es auf „It’s quick and easy“ um – ohne Medienvertretern Erklärungen abzuliefern. Dies ist jedoch nur eines von vielen Beispielen für Facebooks intransparentes Geschäftsmodell. Die US-amerikanische Informatikerin und ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen hat selbst erlebt, anhand welcher Manipulationsstrategien die Plattform sogar die eigenen Angestellten über seine Arbeitsweisen im Dunkeln lässt – und wie dies Menschenleben und die Demokratie gefährden kann.

Wessen Freiheit? Zu welchem Preis?

„Die Wahrheit über Facebook“ beschreibt Haugens Kampf für bürgerliche Freiheiten und damit verbundene Höhen und Tiefen. Wir erfahren auf über 500 Seiten, wie sie mit der Enthüllung etlicher Facebook-interner Dokumente und ihrer Aussage vor dem US-Kongress 2021 die Weichen für das „Gesetz über digitale Dienste“ (Digital Services Act) in der Europäischen Union gestellt hat. Durch dieses Gesetz sollen illegale Inhalte entfernt, die Redefreiheit geschützt sowie Online-Plattformen, die mehr als 10 Prozent der EU-Bevölkerung erreichen, intensiver beobachtet werden.

Haugen wirft Facebook vor, dass es seinen Algorithmen an eindeutigen Kriterien mangelt, um zwischen harmlosem und schädlichem Content wie politisch radikalen bzw. gewaltverherrlichenden Beiträgen zu unterscheiden. Letzterer werde kaum bis gar nicht moderiert. Kritik an solchen radikalen Inhalten werde jedoch „irrtümlicherweise" zensiert. Darüber hinaus würden die Empfehlungssysteme von Facebook den Nutzern Inhalte vorschlagen, die nichts mit ihren Interessen zu tun hätten – für die Whistleblowerin eine reine Marketingstrategie. Facebook rechtfertige solche Maßnahmen mit der Redefreiheit.

Haugen gibt auch Beispiele dafür, wie bewusst aufgezwungene Falschmeldungen Wahlmanipulationen begünstigten (z. B. 2016 „Pope Francis shocks world, endorses Donald Trump for President“) oder soziale Unruhen schürten. So hätte Facebooks Live-Video-App es den Rädelsführern des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ermöglicht, die protestierenden Mengen zu koordinieren.

Jenseits von „David gegen Goliath“

Warum aber entschied sich Haugen 2018, für Facebook zu arbeiten, als ans Licht kam, wie Cambridge Analytica die Daten von Facebook-Nutzern abgriff, an Dritte verkaufte und sich Zuckerberg vor Gericht verantworten musste? Warum hat sie folgende Warnsignale übersehen: Einen während ihres Bewerbungsvorgangs noch nicht vorhandenen Teamleiter, den geforderten Abbruch einer nur dreitägigen Facebook-Schulung sowie Umbenennungen und Auflösungen von Teameinheiten, Projekten und Tätigkeitsbereichen, sobald Verbesserungsvorschläge für die Algorithmen zur Sprache kamen?

Um dies nachvollziehbar zu machen, gibt die Autorin einen Einblick in ihr familiäres Umfeld, ihre Erziehung in einem Montessori-Kindergarten und ihren beruflichen Werdegang bei Google, Yelp und Pinterest sowie in ihren Kampf mit der Autoimmunkrankheit Neuropathie. Dies kann der Ausdauer des Lesers das eine oder andere abverlangen. Hier und da verliert sich die Autorin in Details über ihre Teamkollegen und schweift lange vom Facebook-Thema ab. Das tut der aufschlussreichen Lektüre aber keinen Abbruch. Empfehlenswert ist „Die Wahrheit über Facebook“ hauptsächlich deswegen, da die Sprache laiengerecht ist, zusätzliche Informationen über andere soziale Netzwerke heruntergebrochen und Grundkenntnisse in Informatik nicht vorausgesetzt werden. Haugens Vorschlag, Algorithmen auf Social Media als Studienfach einzuführen, ist lobenswert. Zumal der Data Service Act bisher nur innerhalb der EU gilt, wird sich das aber noch bewähren müssen.

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Autorin / Autor: Christina Janousek - Stand: 3. Juli 2023