Die Radfahrerin  Annie Londonderry - Eine Frau. Ein Fahrrad. Einmal um die Welt

Autorin: Susanna Leonard

Eine Frau. Ein Fahrrad. Einmal um die Welt. Kürzer kann man den Inhalt des Roman von Susanna Leonard kaum zusammenfassen. Doch die Geschichte – teils Fiktion, aufbauend auf wahren Überlieferungen, die sie erzählt, bietet ihrem/ ihrer Leser/in so viel mehr. Sie handelt von dem Leben der Annie Kopochovsky und ihrem Vorhaben, als erste Frau mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Auslöser dafür ist eine Wette zwischen zwei Geschäftsmännern. Einer von ihnen behauptet, dass es eine Frau niemals schaffen kann, alleine auf einem Rad den Globus zu umrunden. Die Bedingungen: Nur eine Garnitur Wechselunterwäsche im Gepäck, kein Startkapital und nach 15 Monaten mit fünftausend Doller heimkehren, ohne dabei Spenden anzunehmen.
Klingt im Rahmen der damaligen Verhältnisse schon nach einer schwierigen Aufgabe. Die größten Herausforderungen ergeben sich dann jedoch auf der Reise selbst. Mehrfach scheint Annie knapp dem Tod zu entkommen. Aber das ist es ihr Wert, denn sie möchte endlich raus aus ihrem alten Leben und einen Neuanfang mithilfe des hohen Preisgeldes für sich und ihre Familie.

Die Autorin lässt den Leser und die Leserin die Reise aus der Perspektive Annies erleben und gibt in Form von Tagebucheinträgen gleichzeitig tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Hauptfigur. Dabei wird man Zeuge/Zeugin, wie sie sich weiter entwickelt und sich gegen die traditionellen gesellschaftlichen Normen und Werte wehrt.
Detailliert beschreibt Susanna Leonard die damaligen Verhältnisse und die Stellung der Frau und des Mannes in der Familie. Es ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, in der sich ausschließlich Männer in einer Bar über das „schwache weibliche Geschlecht“ auslassen, während die Frauen die Kinder zu hüten, zu kochen und vor allem keine Hosen zu tragen haben.
Somit ist Annies Entschluss sich entgegen der Missgunst ihrer Familie und der drohenden Gefahren auf die Weltreise zu begeben auch ein Zeichen im Kampf für die Gleichberechtigung und den aufkeimenden Feminismus.
Alles in allem ist es eine gelungene Erzählung, die sehr gut recherchiert und sprachlich der Zeit angepasst wurde. Auch wenn die Autorin viel erfinden musste, da die Dokumentenlage etwas dünn war, ist es so realitätsnah beschrieben, dass es genauso stattgefunden haben könnte. Somit kann Kapitel für Kapitel mit der jungen Frau mitgefiebert und ihr Verhalten kritisiert oder bewundert werden. Daher ist das Buch eine Empfehlung für alle, die sich für Feminismus, Geschichte und starke Persönlichkeiten interessieren, die sonst kaum ihren Platz in den Medien erhalten. Neben den ernsten Passagen, die zum Nachdenken anregen, lockern humorvolle Anekdoten die Erzählungen der Radfahrerin auf. Allerdings braucht man etwas Geduld, bis die Handlung ins Rollen kommt und die Verhältnisse der Figuren klar werden. Schade ist auch, dass das Ende leider viele Fragen über das Leben von Annie nach der Radtour offen lässt.
Der Roman ist der vierte Band aus der Reihe „Mutige Frauen, die Geschichte schrieben“, in der die Autorin die Geschichte starker Frauen erzählt und ihre Leistung in den Vordergrund stellt.

*Erschienen bei Lübbe Belletristik*

Deine Meinung zu diesem Buch?

Autorin / Autor: Sarah Liebers - Stand: 9. August 2023