Das Spiegelhaus

Du wolltest vergessen. Jetzt musst du dich erinnern
Autorin: Carole Johnstone
Übersetzt von Katharina Naumann

Als Cats Zwillingsschwester El spurlos verschwindet, ist Cat sich sicher, dass sie noch lebt, obwohl alle anderen, auch Els Ehemann Ross, vom Gegenteil überzeugt sind. Sie hätte gespürt, wenn El tot wäre. Aber dann taucht eine Leiche auf und Cat muss der schrecklichen Wahrheit ins Gesicht blicken. Sie kehrt zurück in das Spiegelhaus, den Ort ihrer Kindheit, ein großes Anwesen mit geheimnisvollen Räumen und verborgenen Gängen. Dort geht sie den Spuren nach, die El ihr offenbar vor ihrem Tode hinterlassen hat und die nach und nach aufdecken, was geschehen ist und vor allem Cat dazu bringen sollen, sich an ein einschneidendes Geschehen in ihrer Kindheit zu erinnern, das sie so lange verdrängt hat.

Dieses Buch ist so geheimnisvoll wie das Haus, in dem es spielt. Falsche Fährten und trügerische Erinnerungen, mysteriöse Andeutungen, geheime Zimmer, in denen Fantasie und Realität zu einem undurchdringbaren Knäuel verwoben sind. Sind Blaubart, die Hexe und Mouse wirklich nur Fantasiegefährten, die die Zwillinge und ihr gemeinsamer Freund Ross in ihren fiktiven Abenteuern begleitet haben? Waren die Zwillinge wirklich innig schwesterlich verbunden oder Konkurrentinnen, die sich gegenseitig das Wasser abgraben?

Zugegeben, es dauert etwas, bis man sich auf die etwas ausschweifenden Fantasiewelten der kindlichen Zwillinge, die dieser Roman entfaltet, einlassen kann. Ich habe das Buch anfangs oft weggelegt, erst ab der Hälfte hat es mich wirklich gefangen genommen. Dann nämlich entwirrt sich der Faden und die zunächst sehr nebulös bedrohliche Stimmung bekommt reale Ankerpunkte, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpfen und ein schreckliches Familiendrama offenbaren. 

Carole Johnstone gelingt ein sehr atmosphärischer Roman, bei dem über allem ein bedrohlicher Schleier liegt und man sich als Leser_in nie sicher sein kann, was real und was Fantasie ist, wer die Wahrheit sagt und wer lügt, wer der- oder diejenige ist, die Arges im Schilde führt oder geführt hat. Lange war ich nicht mal sicher, ob es die Zwillinge überhaupt gibt. Die Autorin legt viele falsche Fährten und dementsprechend gibt es auch bis zum Schluss einige überraschende Wendungen.

Ich war erstaunt, als ich gelesen habe, dass die Autorin eine preisgekrönte Autorin von Kurzgeschichten ist und dies ihr Roman-Debüt ist. Denn in meinen Augen ist tatsächlich der einzige Schwachpunkt des Romans, dass er an einigen Stellen etwas langatmig erzählt ist und man als Leser_in dabei den eigentlich sehr kunstvoll gesponnenen Faden verliert. Ich finde dem Buch hätte hier und da etwas "Kürze" gut getan, aber wer geheimnisvolle, düstere Geschichten liebt, der wird sich freuen, dass das Lesevergnügen nicht so schnell zu Ende ist. Insgesamt ist "Das Spiegelhaus" ist ein poetisch erzählter, tiefgründiger und bildhafter Roman voller dunkler Geheimnisse, bei dem auch Krimi Liebhaber_innen und Thriller Fans auf ihre Kosten kommen. Wer einen rasanten Page-Turner und nervenzerreißende Dauer-Action sucht, ist mit anderen Titeln aber vielleicht besser beraten.


*Erschienen im Eichborn Verlag*

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Autorin / Autor: luthien - Stand: 27. Mai 2022