Mein Studium in Nepal

Eine Berlinerin auf Entdeckungsreise - Studieren in Kathmandu

Gebetsraum in Nepal, Copyright: zoe/lizzynet.de

Alles fing an, als mein Mitbewohner mit dem neuen Trekkingkatalog auf mich zustürmte, mit dem Finger auf ein Zelt tippte und sagte: „Anne, wenn ich Geld hätte, würde ich dieses Zelt kaufen und ab zum Everest!“. Über diese Gegend hatten wir so viel gelesen und gehört, haben so viel davon geträumt, diesen Teil der Erde einmal zu bereisen. Nepal, Tibet, Shangri la.
Da ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich gerade Geld übrig hatte, kam mir der Gedanke, mein sowieso bald fälliges Praktikum im Hauptstudium und eine Reise nach Nepal zu verbinden. Das war im September 2006.

Mittlerweile haben wir 2010 und das Praktikum ist längst vorbei, genauso wie mein Studium in Deutschland. Ich wohne nun schon seit 21 Monaten wieder in Nepal und dass alles mal so kommen würde, hätten mein Mitbewohner und ich damals nie gedacht. Ganz im Gegenteil: die ersten zwei Wochen in Nepal waren ein Schock für mich. Als ich in Kathmandu gelandet war und zusammen mit zwei weiteren Voluntärinnen zum Waisenhaus gefahren wurde, dachte ich wortwörtlich „Augen zu und durch“. Überall Müll, Häuser in übelsten Zuständen, Armut soweit das Auge reicht. Ich war schlichtweg überfordert. Das Waisenhaus, in dem ich für vier Monate arbeiten würde, befand sich allerdings im Umland, inmitten von Reisterassen und bei gutem Wetter mit Sicht auf die Himalayakette. Umringt von 50 kleinen Schwestern und Brüdern, so wie man sich in Nepal anredet, hatte ich genug Gelegenheit, durchzuatmen und das Land etwas langsamer kennenzulernen als im Stau in Kathmandu.

Und da waren sie, die Menschen, die jedes neue Gesicht voller Neugier und mit offenen Armen in ihre Familien und Freundeskreise willkommen heißen. Natürlich hatten die Kinder jede Menge Fragen über Deutschland, über meine Familie, über unser Essen und unsere Sitten. Nicht selten wurde darüber gestaunt, dass ich keine Geschwister habe, dass es in Deutschland kein Kastensystem gibt oder dass ich normalerweise nicht zwei- bis dreimal am Tag Reis esse.

In der ländlichen Idylle, mit den Kindern und Dorfebewohnern wurde ich recht sanft auf den doch viel raueren Alltag in Kathmandu vorbereitet, wo ich im Anschluss an mein Praktikum noch zwei Monate verbrachte. Dort sind die Fragen eher „Kannst du meiner Familie Geld geben?“, „Kannst du mir Essen kaufen?“ oder „Kannst du mir ein Visum besorgen?“. Nepal gehört zu einem der ärmsten Ländern der Welt und hat mit vielen Problemen zu kämpfen, zum Beispiel mit ständig wechselnden Regierungen, einem katastrophalen Gesundheitssystem und sozialen Hierarchien. Ich habe mich gefragt, wie die Nepalis mit ihrer Situation umgehen und welche Hilfe sie dabei haben. Deswegen bot es sich an, im Anschluss an mein Studium der Erziehungswissenschaft in Deutschland, mich in Nepal für „Rural Development“ einzuschreiben. Das ist ein Studiengang, der sich mit Techniken und Methodiken der Entwicklungsarbeit befasst, aber auch mit globalen, nationalen und sozialen Strukturen, die Armut bestimmter Länder und Gesellschaftsgruppen erzeugen. Mir war es wichtig, diese Thematik in einem Entwicklungsland zu studieren, und nicht nur aus Büchern davon zu erfahren.

Keine Frage, Bildung hat in Nepal eine ganz andere Qualität als in Deutschland, zumindest an öffentlichen Schulen. Wer sich für ein Studium im Ausland, speziell in Entwicklungsländern interessiert, sollte sich auf jeden Fall ein Bild von Strukturen und Methodiken machen, möglicherweise mit anderen internationalen Studierenden in Kontakt treten und zwischen privaten und öffentlichen Schulen vergleichen.

Um für Kathmandu zu sprechen: Die höheren Kosten an einer Privatuni lohnen sich definitiv (nähere Infos zum Beispiel unten im Link). Im Gegensatz dazu ist das Studium an einer öffentlichen Uni, wie in meinem Fall, eine Investition in meinen Erfahrungsschatz. Nichts desto trotz habe ich unglaublich viel über Entwicklungsarbeit gelernt, zumal ich seit über einem Jahr auch noch ein Projekt in einer NGO leite, und ich bereue den Schritt, nach Nepal gegangen zu sein, nie und nimmer. Vor allem macht es einen riesigen Unterschied, eine so lange Zeit in einem Land zu verbringen, um es ein zweites Zuhause nennen zu können. Public Viewing zur Weltmeisterschaft am Tempel nebenan und der Monsoon sind für mich genauso normal geworden, wie die freiherumlaufenden „heiligen“ Kühe und der Linksverkehr. Was nie Gewohnheit werden wird, ist zu sehen, wie ein Großteil der Nepalis unter der Armutsgrenze lebt. Hier habe ich verstehen gelernt, welchen Wert die Gemeinschaft hat, wenn man inmitten von politischem Chaos lebt. Und das ist etwas, was ich in andere Länder mitnehmen werde.

Im Dezember 2010 werde ich wieder in Deutschland landen und ich will weiterhin im Entwicklungsbereich arbeiten. Mal sehen wohin der Trekkingkatalog mich dann führen wird...

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Autorin / Autor: Anne - Stand: November 2010