Und woher kommst du?

Wie gehen Schulen mit kultureller Vielfalt um? Und werden dadurch Vorurteile abgebaut oder eher  verstärkt? Prof. Dr. Schachner von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) über Ergebnisse einer Befragung von 1.300 Schüler_innen.

Wie gehen Schulen mit kultureller Vielfalt um? Und baut die bisherige Thematisierung unterschiedlicher Herkünfte Vorurteile ab oder kann sie sie auch verstärken? Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Universität Potsdam befragten mehr als 1.300 Schüler_innen und fanden überraschende Ergebnisse. Wir sprachen mit Frau Prof. Dr. Schachner von der MLU über kulturelle Identität, Diskriminierungserfahrungen, Zugehörigkeit und stereotype Bilder.

In Ihrer Studie kommen Sie zu dem Schluss, dass die Thematisierung kultureller Vielfalt an Schulen Vorurteile verstärkt statt sie abzubauen. Woran machen Sie das fest?

Wir haben in der Studie die Schüler_innen nach mehr und weniger direkten Diskriminierungserfahrungen gefragt. Dies beinhaltete, inwiefern Jugendliche die Erfahrung gemacht haben, aufgrund ihrer Herkunft ausgegrenzt zu werden, aber auch dass man besonders deutlich mit ihnen spricht, ihre Deutschkenntnisse lobt oder sie gefragt werden, woher sie kommen - also Indikatoren dafür, dass ihr Gegenüber sie nicht als deutsch oder zu Deutschland zugehörig wahrnimmt.
Wir haben dann untersucht, inwiefern solche Erfahrungen mit dem erlebten Umgang mit Vielfalt in der Schule zusammenhängen. Hier hat sich gezeigt, dass unterschiedliche Ansätze im Umgang mit Vielfalt auch unterschiedliche Zusammenhänge mit Diskriminierung zeigen.

Ist es denn nicht so gut, die Vielfalt im Klassenzimmer zur Sprache zu bringen?

Wenn in der Schule verschiedene Herkunftskulturen der Schüler_innen thematisiert und bewusst mit einbezogen werden ist das zwar grundsätzlich gut, aber es zeigt sich auch, dass es mit stärkeren Diskriminierungserfahrungen einhergehen kann.

Wieso das?

Wir erklären uns das so, dass die Thematisierung vielfältiger Herkunftskulturen oft eher oberflächlich ist. Dadurch können sich Schüler_innen vielleicht in eine Schublade gesteckt fühlen oder stereotype Bilder von dem, was als typisch für verschiedene Kulturen gilt, können noch verstärkt werden.

Wie sehen die Schüler_innen das?

Insgesamt hat sich gezeigt, dass verschiedene Ansätze im Umgang mit Vielfalt in den Schulen von den Schüler_innen auch durchaus wahrgenommen werden und dass es hier auch eine gewisse Übereinstimmung von Schüler_innen innerhalb einer Schulklasse gibt. Das heißt, es ist nicht nur die Wahrnehmung einzelner Schüler_innen sondern in Schulen herrscht ein unterschiedliches Klima im Umgang mit Vielfalt. Auch wenn insgesamt das Klima als überwiegend positiv wahrgenommen wurde, haben aber doch auch einige Schüler_innen über Diskrminierungserfahrungen wie oben beschrieben berichtet.

Eins Ihrer Ergebnisse war ja, dass wenn Kulturen als sich verändernd, dynamisch und vielfältig vermittelt werden, Diskriminierungen aufgrund der Herkunft weniger stark ausgeprägt sind. Wie kann man das denn praktisch umsetzen?

Eine sehr gute Materialsammlung bietet hier zum Beispiel das Projekt Zwischentöne (zwischentoene.info) vom Georg Eckert Institut. Es geht darum zu zeigen, dass es immer und überall Migration und interkulturelle Begegnungen gab und es so gar nicht möglich ist, verschiedene Kulturen klar voneinander abzugrenzen. D.h. auch das, was wir als deutsche Kultur begreifen, ist sehr vielfältig und hat sich stetig verändert.
Auch deutsche Kunst, Kultur, Geschichte etc. lässt sich nicht in Isolation betrachten, sondern man kann überall sehen, wie auch verschiedene Einflüsse von außen mit aufgenommen wurden, mitgewirkt haben und zusammen etwas Neues ergeben haben.
Genau wie es auf der Ebene von Kulturen nicht möglich ist, diese klar voneinander abzugrenzen, ist es aber auch nicht möglich, Menschen klar der einen oder der anderen Kultur zuzuordnen. Vielmehr ist es etwas sehr individuelles, welche unterschiedlichen kulturellen Einflüsse jede_r in sich aufnimmt und sie kann sich auch im Laufe der Zeit verändern. Es wäre also wichtig, in der Schule auch Raum zu geben, um über vielfältige Identitäten zu sprechen und diese zu entwickeln. Was bedeutet es beispielsweise „deutsch“ zu sein? Wer gehört dazu und wer nicht? Und woran macht man das fest bzw. wer bestimmt das?

Was muss sich prinzipiell im Unterricht, in der Schule aber auch in der Gesellschaft verändern, damit wir uns auf positive Weise mit verschiedenen Kulturen auseinandersetzen, gegenseitig Vorurteile überwinden und Vielfalt als Ressource begreifen?

Ich denke es ist wichtig, vielschichtige Bilder von Kultur und kultureller Identität wie oben beschrieben auch in den Medien zu vermitteln und nicht weiter stereotype Bilder zu verbreiten, auch wenn diese auf den ersten Blick zugänglicher und leichter greifbar erscheinen. Es ist wichtig, Deutschland als Einwanderungsland darzustellen, das es ja ist, aber auch Menschen, die selbst oder deren Vorfahren eingewandert sind, als (neue) Deutsche anzunehmen und nicht immer nur auf ihre Andersartigkeit zu reduzieren. Deutschland ist vielfältig und die Deutschen sind es auch.

Vielen Dank für das Interview!

Lies die Pressemitteilung zur Studie:

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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 8. Juli 2021