Brief an die Freiheit

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Carolin Mackert, 23 Jahre

Meine Schöne,
Es tut gut, dir so nahe sein zu dürfen. Die Gewissheit, dich auf meiner Zunge, in den Beinen und Händen zu haben, zu wissen, dass du dich in meinem Kopf und den Ohren, in meiner unmittelbaren Umgebung ausgebreitet hast, das gibt mir Befriedigung, gibt mir Stärke. Du meinst es stets gut mit mir.
Ohne wirklich zu wissen, was es bedeutet ohne dich zu leben, bin ich doch froh, dass du da bist und ich hoffe, du bleibst. Du machtest mich ungefragt zu der Person, die ich glaube heute zu sein.
Dabei begreife ich kaum, auf welche Ereignisse, Menschen und Umstände es zurückzuführen ist, dass du heute so selbstverständlich mein Leben bestimmst – oder es eben nicht bestimmst. Du warst einfach da. Das könnte ich meinen. Du wirst bleiben. Auch das könnte ich meinen. Du kamst irgendwann, nachdem mir völlig unbekannte Menschen dafür in den Krieg gezogen waren. Als Leute den Mut fanden, Dinge zu fordern und auszusprechen, die ein Gott vermeintlich anders sah. Du kamst nach der Überwindung von Diktaturen, wofür viele ihr Leben riskierten; sie riskierten es für dich – Menschen, die ich nie kennenlernte. Damit jemand wie ich bis heute von dir profitieren kann. Du kamst, als sich wichtige Leute zusammensetzten und von Rechten und unantastbarer Menschenwürde sprachen, diese schriftlich festhielten. Du kamst zusammen mit Bildung, unzähligen Erfindungen und technischen Innovationen, die alles leichter zu machen scheinen und mit deren Hilfe ich in weniger als einem Tag auf der anderen Seite der Erde sein kann, wenn ich es will, weil ich es eben darf, sofern ich es mir leisten kann.

Ich musste nie etwas für dich tun. Nicht einmal bin ich für dich auf die Straße gegangen; nicht einmal musste ich für dich ernsthaft streiten. Aber meine Schöne, ich muss zugeben, dass ich hin und wieder mit mir ringe: Hast du dich mir vollständig hingegeben, mir dein Innerstes je vorbehaltslos offenbart? Wie kann ich sicher sein, ob es nicht meine Emotionen, meine Triebe, die Menschen um mich herum und deren Normen sind, die mich tatsächlich dirigieren und ich mir den Besitz deiner Existenz lediglich vorspiele? Woher weiß ich schon, wie es zwischen uns tatsächlich steht?

Verzeih mir, meine Schöne, bitte fühle dich nicht bedrängt! Immerhin schreibe ich dir aus einem anderem Grund. Schließlich mache ich mir Sorgen um dich. So bist du doch weit mehr als ein nächtliches Nackt-in-den-See-Springen, mehr als ein drogenreicher Tanzabend in Berlin oder eine Cabrio-Fahrt zwischen endlosen Maisfeldern. Du machst, dass man lieben, ablehnen, wollen, sprechen, entscheiden, glauben und zweifeln darf. Du machst, dass man machen kann. Du machst, dass man sein darf, einfach so. Aber da gibt es auch etwas, das dich herausfordert, ja geradezu bedroht. Ein Gefühl, das wohl ebenso stark ist wie du, manchmal vielleicht stärker. So entfernst du dich im Moment der Angst.

Haben wir Angst, ziehst du dich unmerklich zurück, schließlich geht Sicherheit vor, heißt es. Verständlich wird es dann, wenn wir Großveranstaltungen meiden, wenn wir diesen einen Weg im Dunkeln nicht mehr alleine laufen wollen und lieber zu Hause bleiben, wenn wir uns überwachen lassen und uns nicht mehr trauen, Hass und Anfeindungen zu wiedersprechen, diesen entschieden entgegenzutreten. So schnell vermag die Angst dich zu zersetzen. Ich will gar behaupten, Angst ist dein größter Feind.

Manche erzeugen diese Angst ganz bewusst, sagen Dinge, um andere von dir zu entfernen. Weil durch dich Menschen denken dürfen, dass sie dich mehr verdient haben als andere. Denken dürfen, dass sie mehr wert sind als andere. Weil sie durch dich Menschen wählen dürfen, die das auch denken. Und weil die all das nicht nur denken, sondern auch aussprechen, Handlungen daraus ableiten – auch wenn ich solche Verirrungen überhaupt nicht hören oder sehen will. Und das werde auch ich ja wohl noch sagen dürfen, dank dir.

Ich will nicht, dass du dich veränderst, will nicht, dass du gehst. So eröffnest du Möglichkeiten, welche man sich kaum vorzustellen vermag; Möglichkeiten, die so unmöglich erscheinen und womöglich nicht in unser Leben passen, nicht dazu passen, was wir über das ideale Leben erzählt bekommen. Aber da kannst du nichts dafür, Liebste.

Ich liebe dich, will ich schreiben, halte es aber für albern. Denn meistens entgeht mir deine Anwesenheit. Ganz unbeteiligt wirkst du, wenn die Leute über dich sprechen. Dabei hast du gar keinen Grund für deine Bescheidenheit, bist du doch schließlich das Aushängeschild unserer Nation, unserer Union. Du machst ein friedliches Zusammenleben wohl erst realistisch. Wir alle lieben dich, obschon wir die Bedrohung um dich herum vielleicht nicht ernst genug nehmen.

Meine Schöne. Ich will mich entschuldigen. Verspreche, dir ganz offen deinen unaussprechbaren Wert beizumessen, dich auch mal zum Essen einzuladen, wenn es sein muss. So habe ich oft die Augen verschlossen vor der Dringlichkeit, mit der ich dich vor Angstmachern, Möchtegern-Überlegenen und Leitkultur-Bewahrern zu verteidigen habe. Bitte sei nachsichtig mit mir.

Ohne wirklich zu wissen, was es bedeutet ohne dich zu leben, bin ich doch froh, dass du da bist und ich gebe mein bestes, dass du bleibst. Auch wenn ich nie etwas für dich tun musste, erkenne ich, dass ich dir in Zukunft wohl mehr Aufmerksamkeit widmen sollte. Habe Blumen geschickt, hoffe, sie gefallen dir. 
Deine Verehrerin.

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