Für's Leben nix gelernt?

Studie „PISA Plus“: Kaum Fortschritte von Klasse 9 bis 10 - 16-Jährige lernen nur wenig Anwendung von Wissen

Deutsche Schülerinnen und Schüler verbessern sich in der zehnten Klasse kaum oder gar nicht darin, Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen im Alltag anwenden zu können. Dies zeigt die neue Studie „PISA Plus“. Das deutsche PISA-Team hatte die Neuntklässler der PISA-Studie von 2012 ein Jahr später noch einmal getestet.

*Grundfläche einer Wohnung berechnen*
Haben Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Pflichtschulzeit grundlegende Kompetenzen erworben, die sie im Alltag anwenden können? Das ermittelt der PISA-Test. Eine Aufgabe in Mathematik kann beispielsweise sein, die Grundfläche einer bestimmten Wohnung zu berechnen. Bei PISA 2012 hatten die Deutschen den internationalen Durchschnitt übertroffen, aber nicht zur Spitzengruppe gehört. Können sich die Jugendlichen anschließend, also von der neunten zur zehnten Klasse, verbessern? Um dies herauszufinden, haben rund 4.900 Test-Teilnehmer ein Jahr später im Alter von 16 Jahren erneut „PISA-Aufgaben“ gelöst. Die Studie ist repräsentativ, ausgenommen waren Hauptschüler.

„PISA Plus“ zeigt, dass sich die Schülerinnen und Schüler während des zehnten Schuljahres im Durchschnitt nur geringfügig darin verbesserten, Mathematik im Alltag anzuwenden. In Naturwissenschaften und Lesen gewannen sie keine Anwendungskompetenzen hinzu. Überdies wurde die Schere zwischen den Leistungsstarken und den Leistungsschwachen in Mathematik und in den Naturwissenschaften größer. Das heißt, tendenziell verschlechterten sich die wenig kompetenten Jugendlichen sogar. Dieses Ergebnis spiegelt sich wider, wenn man die Schularten vergleicht: Nur die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten waren kompetenter als ein Jahr zuvor.

*Aufs Leben vorbereiten, nicht auf die Prüfung*
Die deutsche PISA-Koordinatorin Prof. Kristina Reiss vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) schlussfolgert, dass der Unterricht immer noch zu wenig Wert auf Kompetenzen legt, die auf das Leben vorbereiten. Vor allem Schulen, bei der in der zehnten Klasse Abschlussprüfungen anstehen, stünden unter dem Zwang, gezielt Wissen zu vermitteln, das in den Prüfungen abgefragt wird. Die Lösung könne sein, auch in Prüfungen mehr anwendbares Wissen abzufragen. Das bedeute nicht automatisch weniger Fachwissen, sondern im Gegenteil, dass die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung und die Zusammenhänge eines Faches stärker durchdringen, glaubt Reiss.

Neben diesen Ergebnissen zeigt „PISA Plus“ aber auch: Sind die Aufgaben stärker an den Lehrplänen ausgerichtet, machen die Schülerinnen und Schüler von der neunten zur zehnten Klasse Fortschritte. Um dies zu testen, stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denselben Jugendlichen auch Aufgaben aus der deutschen Ländervergleich-Studie, mit der regelmäßig überprüft wird, ob die Bildungsstandards der Bundesländer erreicht werden. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten ein Jahr zuvor auch bei diesem Test mitgemacht. Eine Aufgabe aus der Mathematik kann hier lauten, die Koordinaten eines an einer Geraden gespiegelten Dreiecks anzugeben.

*Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen bleiben*
Auch bei Mädchen und Jungen verlief die Entwicklung recht ähnlich, beide Geschlechter machten in Naturwissenschaften und Lesen keinen Fortschritt. Allerdings verringerten die Mädchen den Vorsprung der Jungen in Mathematik ein wenig.

„Die Studie bestätigt, dass die entscheidende Phase für die Entwicklung der Geschlechterunterschiede die Zeit von der fünften bis zur siebten oder achten Klasse ist“, sagt Reiss. „In der Grundschule sind die Interessen zwischen Mädchen und Jungen noch recht gleichmäßig verteilt. Und ab der neunten Klasse geht die Schere nicht mehr weiter auf. Wir müssen also Wege finden, das Auseinanderdriften während der ersten Jahre der weiterführenden Schulen zu verhindern.“

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 14. November 2017