Sag mir, was du siehst

Ein Buch wie eine verschneite Landschaft

Schon die Autoren, denen Zoran Drvenkar seinen Roman widmet, lassen mein Herz höher schlagen: Ray Bradbury, Tad Williams, Jeff Noon, Wiliam Goldman, Philip Pullman. Und ein paar andere, die ich nicht so mag, und einige, die ich nicht kenne. Aber eben viele, die mir verheißen, dass dieses Buch besonders ist. Besonders gut, wie ich hoffe und ich werde nicht enttäuscht.

Aber zunächst zur Handlung. Alissa, 17 Jahre, ziemlich melancholisch und ein bißchen schräg, besucht Jahr für Jahr an Weihnachten mit ihrer besten Freundin Evelin das Grab ihres Vaters, der bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. Unsinnigerweise tun sie das meist abends im Dunkeln und da es an diesem Weihnachtabend sehr verschneit ist, irren sie planlos auf dem Friedhof umher und suchen das Grab. Dabei stürzt Alissa in eine Gruft und während Evelin Hilfe holt, findet Aliassa dort einen geheimnisvollen Sarg. Wie unter Zwang öffnet sie ihn und entdeckt darin ein totes Kind, dem eine seltsame Blume aus der Brust wächst. Gegen ihren Willen pflückt sie die Blume und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Seltsame Dinge geschehen mit Alissa und ohne es zu wissen schwebt sie in Lebensgefahr, Seltsame Dinge geschehen aber auch mit ihrem miesen Ex-Freund Simon, der ihr plötzlich wieder nachstellt, mit einem kleinen Kätzchen, das ihr folgt und mit Raben und seltsamen Gestalten, die plötzlich in ihrem Leben auftauchen und an deren Fersen Alissa sich heftet. Bei all dem begleitet sie geduldig Evelin, die den scheinbar aufkommenden Wahnsinn ihrer geliebten Freundin voller Angst beobachtet. Und doch ist die ungläubige Evelin es, die am Ende in all den seltsamen Ereignissen eine wichtigere Rolle spielt, als sie sich hätte jemals träumen lassen. Mehr Geheimnisse sollte man an dieser Stelle nicht lüften und das Buch hat eine Menge davon zu bieten.

Geschildert wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven: aus der Alissas, Evelins, Simons und einigen anderen Figuren. Erstaunlich finde ich, dass ich bei dem ersten Kapitel sofort gedacht habe: hier spricht ein Mädchen, obwohl es noch gar nicht klar war und der Autor schließlich männlich ist. Die Sprache klingt zwar bei allen Figuren recht ähnlich, aber trotzdem gelingt es dem Autor, die unterschiedlichen Perspektiven auch spürbar zu machen. Man kann mit allen mitfühlen, selbst mit dem machohaften Widerling Simon, der Alissa immer mehr verfällt und halb wahnsinnig dabei wird.

Wie nennt man sowas? Eine fantastische Geschichte? Ein Mystery-Thriller? Ein Märchen? Nichts kommt der Sache so richtig nah, es ist in jedem Fall ein wunderschön düsteres, spannendes, trauriges aber mitunter auch sehr komisches Buch, poetisch und melancholisch mit einer ungekünstelten, authentischen Sprache und Charakteren, die wie im richtigen Leben nie nur schwarz oder weiß, sondern vielschichtig und oft unergründlich sind.

*Ein sehr cooles Buch!!!*
Die winterliche Stimmung ist in dem Buch nicht nur ein Motiv, sondern Programm: wie eine verschneite Landschaft eröffnet sich die Geschichte, hinter der man das tödliche Grauen oder aber auch das schöne Leben nur erahnen kann. Ein Buch, bei dem sich einem die Nackenhaare aufstellen und dessen kalter Zauber einen nur unschwer los lässt. Ein Buch, dessen geheimnisvolle Atmosphäre einem noch lange im Kopf herumschwirrt. Ein eisiges Buch, für das es keine bessere Lesezeit gibt als den Winter.

Autorin / Autor: luthien - Stand: 2. Feburar 2005