Verblasste Zeilen

Einsendung zum Wettbewerb U 20 - Ü 60

In den Sommerferien besuche ich mit meinen Eltern immer wieder diesen einen Ort.
Er ist stumpf und grau und er ist ein Ort an dem ich nicht mehr sein will. Ich habe zugesehen, wie Menschen diesen Ort verlassen und danach keinen anderen Ort besuchen, und es waren mehr, als ich gehen sehen wollte. Seit ungefähr fünf Jahren streite ich mich jedes Mal mit meinem Vater wenn wir hier sind. Dieses Mal haben wir es auf die Spitze getrieben und ich wurde aus dem Zimmer geschickt, aber dieser Ort, er ist einfach unerträglich. Es ist einfach kein Ort für mich, für einen Jugendlichen, für jemanden der das Meiste noch vor sich hat. An diesen Leuten haftet Friedhofsgeruch, der Geruch vom Tod. Ich bin kein Schwarzmaler, aber es ein dunkler Schatten über diesem Ort. Da mich meine Eltern aus dem Zimmer geschmissen haben, verbrachte ich meine Zeit draußen unter der großen Eiche. Sie wirft einen großen Schatten auf mein Gesicht, wenn der Wind bläst rascheln die Blätter und manchmal kommt ein Sonnenstrahl hindurch. Früher war ich doch so gerne hier. Ich liebte es, diesen Ort zu besuchen, meine Tage hier zu verbringen, aber jetzt nicht mehr. Je länger ich an die vergangene Zeit dachte desto schlechter wurde meine Stimmung. Ich steckte meine Kopfhörer in die Ohren und drehte meine Musik etwas unangenehm laut und beobachtete das Blätterdach, doch das Dach hörte auf sich zu ändern und die Luft blieb auch still. Der Wind blies nicht mehr, da mein Beobachtungsziel nicht mehr vorhanden war, schaute ich mich in der Gegend um. Unter dem ganzen Haufen Menschen, die hier sind, stach sie heraus, ich wunderte mich, was sie hier machte. Normalerweise bin ich der der einzige Jugendliche, der in den Sommerferien hier ist und das weiß ich, weil ich jedes Mal zwei Wochen hier Gast bin. Aus Neugier und da ich sie ziemlich süß fand, ging ich zu ihr und fing ein Gespräch an. Sie las ein Buch. Das Buch war recht seltsam, es waren keine einheitlichen Blätter sondern verschiedene. Sie saß am Tisch. Ich setzte mich ihr gegenüber. ‚Hi! Was machst du, denn hier?’, sie schaute auf und ihre braunen Augen waren nicht zu verachten. ‚Mit hier meinst du das Altenheim?’ ‚Ja, das ist das erste Mal das ich hier jemanden gleichaltriges sehe.’ ‚Wieso? Bist du oft hier?’ ‚Ja, jede Sommerferien zwei Wochen lang.’ ‚Oh! Das ist aber schön!’ ‚Haha denkst du ich habe Spaß hier!?’ ‚Ja!’, ich blickte ihr tief in die Augen. Ihre Antwort war voller Zuversicht, dass es mich erschrak! Ich wechselte das Thema, galant wie ich finde: ‚Was liest du da eigentlich?’ ‚Also das, das sind Briefe von meiner Oma an mich. Wir haben uns immer Briefe geschrieben, weil wir so weit auseinander leben.’ ‚Haben geschrieben muss es dann nicht auch gelebt haben heißen?’, seit ich hier bin, passe ich immer genau auf die Zeitform der Verben auf. ‚Eigentlich spreche ich nicht so viel mit Fremden, aber ich brauche eh gerade jemanden zum reden.’ ‚Oh! Warum das denn?’ ‚Weil ich mich gerade selber unglaublich hasse!’ ‚Wie du hasst dich?’ ‚Es ist hier nicht gerade selten, dass welche sterben oder!?’, warum ausgerechnet dieses Thema dachte ich? ‚Ja das kann sein!’ ‚Findest du das schlimm?’ ‚Nun ja es ist nie schön wenn jemand geht.’, ich hatte einen kleinen Kloß im Hals. ‚Ja das stimmt, aber weißt du was ich… ich!’, sie stotterte und kleine Tropfen Wasser fingen an zu fallen, nicht von Regenwolken sondern ihre Augen, die weinten. Ich wusste nicht was ich machen sollte, sie war ein Mädchen, das ich gerade eben erst kennen gelernt habe und schon weint sie. Das ist nicht gut und ich weiß ja nicht einmal ihren Namen. Sie redete unter Tränen weiter: ‚Ich…ich habe mir heute gewünscht… ich habe mir heute vorgestellt, dass es besser wäre wenn, wenn sie auch einfach gehen würde.’, nach diesem Satz konnte ich richtig zu sehen wie die Träne in ihren Augen hoch stieg, ihr Augenlid überstieg und dann auf ihre Wange kullerte. Hätte sie diesen Satz nicht gesagt, hätte ich ihr die Träne aus ihrem Gesicht gewischt, vielleicht ihre Hand gehalten, aber dieser Satz. ‚Meine Oma sie hat…,sie vergisst mich. Sie vergisst alles. Sie…sie!’, ihr schluchzen hinderte sie am reden. Es klang so traurig, sie war so verzweifelt. Tiefe! Schwarze Verzweiflung, in mir rührte sich was, etwas zerbrach und ihre offenen Tränen brachten meine versteckten zum Vorschein. Sie rollten heiß über meine Wange. ‚Was bist du denn für ein Mensch? Wie kannst du nur so was denken? Liebst du deine Oma denn nicht?’, ich weinte. ‚Liebst du sie denn nicht?’, schrie ich sie an.  Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen griff mir in die Haare und riss mir dabei ein paar aus. Ich riss sie mir aus, weil ich keinen Halt mehr fand, weil der Damm gebrochen war den ich mir gebaut habe, weil sie in zerbrechen ließ. Ihre ehrlichen Tränen. Sie schrie zurück: ‚Ich liebe sie! Ich liebe sie so sehr. Sie war meine letzte Familie und jetzt verschwindet sie! Vergisst mich wie die Zeilen in ihren Briefen, die verblassen. Siehst du, sie verblassen!’, schrie sie, sie stand auf und hob ihr Buch und zeigte es mir. Die Zeilen waren verblasst, man konnte kaum die Wörter erkennen. ‚Ich sehe sie, ich liebe sie. Doch sie, sie schaut nur durch mich hindurch! Sie ist so nah! So nah, aber so fern!’, mehr Tränen rollen. Es sah traurig aus, so traurig! Ich war traurig, sodass alles, was ich verbarg, aus mir heraus sprudelte: ‚Meine Oma ist hier vor fünf Jahren gestorben und seitdem ist dieser Ort hier die Hölle für mich. Sie ist weg! Einfach nicht mehr da! Ich kann sie nie mehr umarmen und mein Opa sein gebrochenes Herz lässt ihn langsam sterben. Jedes Mal wenn ich ihn sehe, ist er schwächer, kälter. Wenn ich ihn auch noch verliere, dann werde ich… Ich mag nicht mehr!’, auch ich stand, ich schlug auf den Tisch weil ich nicht mehr weinen wollte. Meine Hand schmerzte davon. ‚Es tut so weh, so weh!’ Ich rieb meine Hand und dann sahen wir uns wieder in die Augen. In Augen voller Verzweiflung und Trauer. Ich schlug noch mal auf den Tisch und wieder und wieder. Das Mädchen kletterte auf den Tisch und umarmte mich. ‚Bitte hör auf!’, eine Umarmung! Umarmung, ich hatte sie als letztes gesehen, ich hatte sie als letztes umarmt. Das letzte Mal und ihre Wärme verblasste in meiner Erinnerung. Verblasste Erinnerungen sind das was einem Angst machen. Erinnerungen sind das, was wir behalten wollen. Das Einzige, was wir behalten können von geliebten verstorbenen Menschen. Als wir uns beruhigten, lasen wir die verblassten Zeilen der Briefe ihrer Oma und schwelgten in den Erinnerungen meiner Oma.

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U20 - Ü60 - So wollen wir zusammen leben

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Die Jury

Schöne Preise für die schönsten Einsendungen

Worum geht es im "Wissenschaftsjahr 2013 - Die demografische Chance"?

Die Siegerehrung zum Wettbewerb "U20-Ü60"

Es war schwer, aber die Jury hat entschieden...

Autorin / Autor: von Watthana, 18 Jahre