HOLUNDERSOMMER

Einsendung zum Wettbewerb U 20 - Ü 60

Juni 2005
Oma hat wie immer alles perfekt organisiert. Die bunten Laternen, die über uns aufgehängt sind, geben eine schönes, weiches Licht an diesem lauen Sommerabend. Es ist Juni – wie jedes Jahr sitzt die ganze Familie und Nachbarschaft in Omas grossem Garten und feiert ihr Sommerfest. Prickelnder Prosecco, lachende Gesichter und umherrennende Kinder zwischen Rosenhecken und frisch gemähtem Rasen.
Ich glaube, in diesem Moment spürte ich echtes Glück. So pulsierend und flüchtig, aber doch bemerkte ich es.

Mai 2006
Oma plante schon fürs Sommerfest. Sie wollte, dass alles perfekt wird. Vor kurzem hatte sie mich gefragt, wann denn das Sommerfest sei. Ich antwortete ihr, dass es doch wie jedes Jahr im Juni stattfinden würde. Wie konnte sie das vergessen? Es war eine Tradition, die sie seit so vielen Jahren führte. Seit ich Oma kannte, gab es noch keinen Sommer, in der ihr Sommerfest nicht stattfand. Es gehörte dazu. Es machte einen perfekten Sommer aus.
Oma sah mich an und zögerte einige Sekunden. Schliesslich nickte sie und lachte.

Juni 2006
Dieses Sommerfest war genauso schön, wie die anderen Sommerfeste, an denen ich hier war. Oma genoss es immer, junge Menschen um sich herum zu haben. Wahrscheinlich ist sie deswegen so jung geblieben. Trotz den vielen Sorgen und schlechten Erfahrungen, die sie in ihrem Leben gesammelt hatte. Eine Oma wie sie konnte man sich nur wünschen. Sie hatte so viel Energie und war so klug, das ich mich jedes Mal wieder wunderte.
Ich verbrachte schon immer viel Zeit mit ihr. Besonders wenn im Sommer der weisse Holunder blühte und ich mit ihr Sirup kochte. Es war etwas, worauf ich mich jedes Jahr freute. Der süsse Duft von Holunderblütensirup und Omas blumiges Parfum. Ich kannte keinen besseren Geruch, der mich so gut an meine Kindheit erinnerte.

Juli 2006
Die Holunderblüten zogen sich langsam zurück. Es scheint jedes Jahr so, als wären sie die ganze Zeit da gewesen. Bis man bemerkt, dass sie bereits vergangen sind.
Ich habe Omas rosa Absatzschuhe in ihrer Geschirrspülmaschine gefunden. Ich glaube, Oma ging es ein bisschen so wie mir, wenn ich die Holunderblüten sah.
Ihr Gedächtnis zog sich zurück und als sie merkte, dass ihre Erinnerung verschwunden war, wunderte sie sich, wann das geschehen ist.

Anfang August 2006
Wir waren beim Arzt. Oma hat Alzheimer-Demenz.
Ich vermutete schon viel früher als Oma, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Jetzt wurden meine Vermutungen traurige Gewissheit, die mich nachts nicht schlafen ließ.
Oma hat mich gefragt, wo denn das für die Augen sei. Ich wusste erst nicht was sie meinte und als ich nachfragte, wurde sie wütend. Es könne doch nicht so schwer sein, zu wissen was sie meine. Sie meinte ihre Brille. Sie hatte das Wort vergessen und mir wurde klar, wie schnell die Krankheit ihr Gedächtnis auffrass.

Ende August 2006
Es ist Hochsommer. Die Hitzewelle, kurz bevor der Sommer verschwindet und bis zum nächsten Jahr wegbleibt. Oma hatte ihre Baumwollstrumpfhosen unter ihr Strickkleid und den grob gestrickten Schal über ihre Winterjacke angezogen. Ich stellte mein Fahrrad gerade an die Wand, als Oma zur Tür raus kam. Ich brachte sie sofort wieder rein und zog ihr die warmen Wintersachen aus. Sie war erst verwirrt und fragte mich, was ich da machte. Als ich ihr erklärte, dass es draussen viel zu heiss für solche Kleider war, begann sie zu weinen. Ich glaube, in diesem Moment merkte sie, wie stark die Krankheit sie schon eingenommen hatte.

September 2006
Oma vergass immer mehr. Ich gewöhnte mich daran, dass ihr manchmal die Worte fehlten oder sie meinen Namen nicht wusste. Sie schien aber auch die Freude an Dingen, die sie sonst gerne tat, verloren zu haben. Sie wollte nicht mehr in den alten Modezeitschriften blättern, keine Schallplatten mehr hören und auch nicht tanzen. Ich machte mir Sorgen, dass Oma einsam werden würde. Dass die Einsamkeit sie so traurig machen würde, dass sie sich etwas antut.
Ich versuchte Oma für so vieles zu begeistern. Singen, Spazieren, Kochen. Doch auch wenn sie mir zu liebe mitgemacht hatte, merkte ich ihr an, dass sie eigentlich nicht wollte und sich nicht wohlfühlte. Oma wollte lieber Zuhause auf dem Sofa sitzen und fernsehen oder im Bett liegen.
An einem kühlen Abend, als die Dämmerung langsam ihr dunkles Tuch über die Stadt legte, setzte ich mich an Omas Bett. Sie nahm meine Hand und drückte sie eine lange Weile. Ich sah sie an und merkte, wie glücklich sie aussah. Obwohl für Oma in den letzten Monaten alles so anstrengend geworden war.
Dann erzählte sie mir davon, wie sie jeden Sommer Holundersirup gekocht hat. Mit ihrer Enkelin, einer jungen Dame, die ihr so gut tat. Ich lächelte und versuchte, das Ziehen in meinem Bauch zu ignorieren. Sie hat vergessen, dass ich es war. Dass ich jeden Sommer neben ihr in der gefliesten Küche stand und im grossen Topf gerührt habe.
Ich sagte, dass die Dame sie bestimmt eines Tages besuchen würde.
Sie lächelte und fragte, ob ich die junge Dame war.
Ja, sagte ich und nickte.

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U20 - Ü60 - So wollen wir zusammen leben

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Worum geht es im "Wissenschaftsjahr 2013 - Die demografische Chance"?

Die Siegerehrung zum Wettbewerb "U20-Ü60"

Es war schwer, aber die Jury hat entschieden...

Autorin / Autor: von petite, 15 Jahre