Wie der Phönix aus der Asche

Einsendungen zum Schreib- und Bilderwettbewerb im Wissenschaftsjahr 2012 - Zukunftsprojekt Erde

19 Minuten
*„Denk. Immer. Daran: Wir haben die Magie um uns herum gespürt; in jedem Blatt, das herumwirbelt, in jedem Lüftchen, das unsere Nase kitzelt und jedem Gesicht, das uns heute angelächelt hat.“*
Sie sieht aus dem Fenster, wie die Sonne ihre warmen Strahlen in alle Richtungen ausstreckt, ein seltener Zustand in diesen Tagen. Die liebliche Sonne steht damit im krassen Widerspruch zu ihrem aufgewühlten und von Zweifeln behafteten Gefühlszustand. Es hat sehr viel Training erfordert, damit sie sich endlich als überzeugtes Instrument in der Maschinerie begreift, die plant, die Welt vor sich selbst zu retten. Zweifel und Gefühle stehen dem im Weg, was sie als Gruppierung erreichen wollen.
Komisch, dass sie ausgerechnet jetzt an vergangene Zeiten zurückdenkt; an längst vergessene Auseinandersetzungen mit ihm. Doch nun, da sie sich endlich vor der Durchführung ihrer Mission sieht, wird sie von Bildern, Eindrücken, Gesprächen und Gefühlen überflutet, die sie schon lange besiegt geglaubt hatte.

*„Es gibt keine andere Möglichkeit!“, hatte er gebrüllt, so dass der Satz noch lange in ihrem Kopf widerhallte. „Es gibt keine andere Möglichkeit und du weißt es, sonst wärst du niemals der Gruppierung beigetreten. Der Gruppierung, die als einziges Etwas verändern will, um die Welt zu retten und bereit ist, dafür alles zu opfern.“ „Aber wir retten sie doch gar nicht“, schrie sie beinahe schon hysterisch zurück. „Wir zerstören sie!“.*

16 Minuten
Das war eines ihrer ersten Wortgefechte gewesen, nachdem sie sich seit so vielen Jahren wiedergetroffen hatten. Sie, zunächst geschockt von diesem perfiden Plan, fühlte sich mehr und mehr zu der Idee hingezogen, aber auch zu ihm…
*„Man kann die Welt nicht mehr retten, indem man Energieeinsparungen vornimmt. Du kannst nichts aufhalten, was sich schon vor Jahrzehnten zu einer Lawine entwickelt hat. Neben der Globalisierung und technologischen, wissenschaftlichen Errungenschaften haben sich exponentiell noch viele weitere Bereiche in immer kürzeren Zeitzyklen weiterentwickelt. Du kannst nichts mehr retten, indem du ein paar Atomkraftwerke abstellst. DAS hier“, er breitete die Arme aus und drehte sich um die eigene Achse, als wolle er die ganze Welt damit umfassen, dabei befanden sie sich nur in seiner kargen und spärlich eingerichteten Wohnung, „das ist kein Leben mehr, wie Gott es ursprünglich angedacht hat. Das ist…“, zornesfunkelnd hatte er die Fäuste gegen die Wand gerammt und in seiner revolutionären Rage vermutlich nicht einmal (mehr) gespürt, wie die Haut an den Knöcheln aufplatzte. „Wir sind wie triebgesteuerte Tiere! Gott. Hat. Das. Nicht. Gewollt.“*

13 Minuten.
Sie versucht sich zu konzentrieren, die Gedanken zu verdrängen, während sie als Mitarbeiterin in Europas einziger Nuklearschaltzentrale sitzt, die alle Atomkraftwerke Europas zentralisiert an diesem Ort verbindet und steuern kann. Vor einigen Jahrhunderten ist auf jedem Kontinent eine Nuklearschaltzentrale gebaut worden, nachdem durch den ersten länger anhaltenden Blackout beinahe die ganze Menschheit ausgelöscht worden war. Auch in den anderen Zentralen sind ihre Leute positioniert und warten auf den richtigen Zeitpunkt in wenigen Augenblicken.

10 Minuten
*„Hätte Gott denn gewollt, dass wir seine 10 Gebote mit Füßen treten und seine Schöpfung zerstören? Stellen wir uns nicht über ihn, indem wir uns anmaßen, die Entwicklung, die sein Werk genommen hat, als gescheitert und nicht lebenswert zu verurteilen?“ Kapitulierend senkte er den Blick und antwortete schlicht: „Ich weiß es nicht.“ Jetzt war da nur noch Trauer in seinem Ton, seinem Blick und seiner Haltung.*
Ach, wie sie ihn vergöttert hat! Sie weiß noch genau, wie sie sich das erste Mal begegneten: Als Jugendliche auf einem Konzert. Sie haben sich die ganze Nacht hindurch unterhalten. Er hatte diesen besonderen Glanz um sich gehabt und ihr etwas erzählt, was sie noch viele Jahre in ihrem Herzen tragen sollte.
Jetzt will ihr beim besten Willen nicht mehr einfallen, was genau er gesagt hat.
Jedenfalls waren sie damals noch fröhlichere Menschen gewesen. Einfach nur Menschen, die ein endliches Leben führten, mit normalen Zukunftsplänen und geregelten Bahnen. Damals hatte sie an ihn geglaubt.
Sie blickt auf die Zeiger ihrer Uhr – 7 Minuten noch – und würde dann am liebsten lachen bei dem Gedanken daran, dass ein einziger Befehl in ihrem Bedienungsfeld die Macht besitzt, ganz Europa auszulöschen, während andere aus der Gruppierung sich um den Rest der Welt kümmern.

*Nach seinem Ausbruch ist sie zu ihm gegangen. Ganz langsam und bedächtig, wie bei einem wilden Tier, das man beruhigen und nicht verschrecken möchte. Vorsichtig hob sie die Hand und legte sie auf seine verkrampfte Schulter, drückte leicht, bis sich die Anspannung aus ihr löste. Fuhr mit dem Finger die Linie seines Schlüsselbeins entlang, setzte die Reise auf seiner Brust fort und kam schließlich auf seinem Nacken zum Erliegen. Dies, so schien es ihr, war das Zeichen für ihn, seine Starre zu lösen, sie ebenfalls an den Schultern zu fassen, seine Stirn an die ihre zu lehnen und schließlich zu sprechen: „Es ist wie der Phönix aus der Asche, weißt du? Wir retten die Welt. Wir müssen den Stand auf null zurücksetzen, damit sie von vorne beginnen kann.“ Sie gab keine Antwort. Zumindest nicht verbal. Lieber küsste sie zärtlich seine wunden Fingerknöchel. Es kam inzwischen so selten vor, dass er Nähe oder gar Berührungen zuließ.
„Aber wir werden sterben“, raunte sie schließlich doch.
„Du verstehst das, oder? Wir sind nicht wichtig genug, um unsere Bedürfnisse über die von der Welt oder Gott zu stellen.“
„Wir werden dennoch sterben.“
„Du musst es doch verstehen! Bitte, sag mir, dass du das tust. Dass wir beide das richtige wollen, dass wir unseren Daseinszweck erfüllen.“
Sie sahen einander tief in die Augen und es war das einzige Mal, dass sie ihn nicht anlügen konnte. Zum ersten Mal, so dachte sie, sei die Lüge zu groß und zu schwer, um sie zu tragen; obwohl es im Grunde genommen gleichgültig war, da sie sowieso sterben würden. Bitte, schienen seine Lippen lautlos zu flüstern.
„Nein“. Dieses schlichte und doch so bedeutungsschwere Wort hing zwischen ihnen in der Luft.
„Ich weiß“, sagte er dann. „Ich auch nicht. Zumindest nicht, dass WIR es sein müssen. Ich wünschte, es bliebe uns erspart und wir wären eine Generation früher geboren. Es ist egoistisch, doch nur eine Generation früher und wir hätten zusammen glücklich werden können.“ Es ist das einzige Eingeständnis, das sie je von ihm bekommen hat.*

3 Minuten
Er ist tot und sie sowieso alleine. Dennoch kann sie den mit Zweifeln gespickten Gedankenstrom nicht abstellen. Möchte sie die Welt wirklich zu einem qualvollen Ende verdammen?
Selbst eine parallel ablaufende atomare Verstrahlung wird die Welt nur langsam zu Fall bringen. Wie das Gift eines Tieres. Der Kugelfisch beispielsweise: Auch wenn man weiß, dass von ihm das zerstörende Gift stammt, so existiert dennoch kein Gegengift zur Rettung. Die Zweifel scheinen sie zu erdrücken. Möchte sie wirklich sterben und die Welt mit sich reißen? Nicht besser als Selbstmordattentäter? Ihr rechter Zeigefinger schwebt über dem Feld, um den Mechanismus auszulösen, ihre linke Hand umschließt fest die kleine Tablettenkapsel, die ihr einen schnellen Tod bescheren soll, so dass sie das „richtige“ Ende nicht mehr miterleben wird.
Da purzelt unverhofft die Erinnerung an die Worte, die sie kurz zu vor noch so händeringend gesucht hat, in ihr Gedächtnis.

1 Minute
*„Denk immer daran. Wenn die Welt noch so kalt scheint, du hast auf ihr gelebt und sie durch deine bloße Existenz beeinflusst und mit deinen Taten vielleicht sogar verändert. Denk immer daran, du hast im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens gelebt. Denk. Immer. Daran: Wir haben die Magie um uns herum gespürt in jedem Blatt, das herumwirbelt, in jedem Lüftchen, das unsere Nase kitzelt und jedem Gesicht, das uns heute angelächelt hat.“ Und dann hatte er gelacht, den kurzen Abstand zwischen ihnen mit seiner Präsenz ausgefüllt und sie zum ersten Mal geküsst.*

30 Sekunden
Niemand kann vorhersehen, welche finalen Konsequenzen ihr Handeln haben würde. Weder sie, noch er, noch die Gruppierung, in der sie beide nur ein winziges Rädchen im Getriebe dargestellt hatten. Vielleicht würde aus ihrer Idee ja tatsächlich ein Phönix auferstehen, der irgendwann, in weit entfernter Zukunft, irgendwem einen magischen Moment bescherte. Und wenn es nur einer wäre...
...es hätte sich gelohnt.

Alle Infos zum Wettbewerb

Un-endlich wertvoll - Die Siegerehrung

Endlich ist es so weit!

14. November 2012

Die Jury

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Die Einsendungen

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Autorin / Autor: von Charlene, 19 Jahre