Giftig

Wettbewerbsbeitrag von Marco Deutscher, 17 Jahre

Das helle Blau des Uranus füllte das Sichtfenster. Rhin, die auf der Kommandobrücke des Sternenkreuzers Yle´c stand, blickte auf den wunderschönen Gasplaneten und dachte nur an das, was sich vielleicht dahinter verbarg. Sie hatte Angst. Der rechte Ärmel ihrer Uniform endete knapp vor dem Ellbogen; die Haut am Unterarm war mit rötlichen, kreisrunden Narben übersäht. Der Schmerz war allgegenwärtig, doch das war er schon seit 43 Jahren. Sie hob die rechte, ein Glas Wasser haltende Hand zum Mund und trank einen Schluck. Das Wasser hatte einen salzigen Beigeschmack und die Frau verzog das Gesicht. Sie wusste was sie zu tun hatte. Sie drückte zu.

Im Jahr 2442 verließ das erste Raumschiff der Menschheit das Sonnensystem, mit dem Ziel neue bewohnbare Planeten und vielleicht sogar Aliens zu finden. Und das schien ein voller Erfolg gewesen zu sein, denn kaum zwei Jahre später startete die Invasion einer Alien Rasse – die „Llic´c“ –  auf das Sonnensystem und nach drei Jahren erbitterter Kämpfe war die Erde erobert und die Menschheit versklavt worden. Gekommen waren sie für die Ressourcen einer weiteren Kolonie. Geblieben sind sie für das Blut der Menschen. Obwohl die Sklaven einen großen Teil der Arbeit für die Aliens erledigen und auf ihren Raumschiffen dienen müssen, ist es die Hauptaufgabe der Menschen geworden, mehrmals täglich ihren Herren den rechten Arm zu reichen. Diese würden dann mit ihren „Händen“ Menschenblut durch winzige Poren aufsaugen. Meistens wurde ein Mensch von mehreren Aliens genutzt – am Ende des Tages war nur noch Haut und Knochen von ihnen übrig. Aber manche hatten Glück und wurden zu Privatsklaven eines einzelnen Aliens. Rhin Forleigh war eine davon. Sie war dem Kriegsherren Baljv´c zugeordnet worden. Dem Oberhaupt der Llic´c.
Das Glas zersplitterte und vergoss seinen Inhalt über ihren Arm, während Schnittwunden begannen ihre Handfläche rot zu färben. Sie drehte sich um und schritt vom Sichtfenster zum Kommandostuhl der Brücke. Links und rechts saßen Aliens an ihren Stationen und steuerten das Kriegsschiff um Uranus herum. Die Yle´c war das Flaggschiff der menschlichen Flotte gewesen, bevor es in der Schlacht um die Erde gekapert und umbenannt wurde. Hinter dem Kommandostuhl eröffnete ein weiteres Sichtfenster den Blick auf die restliche Flotte, eine Mischung aus übernommenen Schiffen der Erde und Kreuzern der Aliens. Nicht weniger als 3016 Kriegsschiffe. Knapp halb so viel würden auf der anderen Seite des Uranus warten. Damit waren fast alle Raumschiffe des Sonnensystems hier versammelt. Es würde eine großartige Schlacht werden. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Kommandostuhl. Auf Baljv´c. Rhin hielt ihm ihren nassen Unterarm hin. Er streckte einen seiner drei Arme aus. „Bitte um Erlaubnis, mich zurückzuziehen und mich sauber zu machen“, fragte sie, während er ihr Blut saugte. „Nein.“ Sein lippenloser Mund bewegte sich kaum, während er ihr Todesurteil aussprach. „Ich will, dass du dabei bist. Und dann werde ich mein Versprechen einhalten.“ Obwohl die Betonungen falsch waren, konnte man doch die Worte verstehen. Rhin hatte ihre Aufgabe gut gemacht. Sie schluckte.

„Wir haben es geschafft!“ Ben hatte ihre Schultern gepackt und schüttelte sie. „Was geschafft?“ Aber sie konnte es schon erahnen. „Tränen! Sie sterben bei Tränen! Sie brauchen zwar eine Weile um zu wirken, aber schon ein Tropfen reicht“ Seit Jahrzehnten hatten er und die anderen Chemiker im Labor an einem Gift gearbeitet, das die Llic´c töten konnte. Sie mischten dutzende Stoffe zusammen, von Heroin bis zum Gift der Brasilianischen Wanderspinne, und spritzten sie freiwilligen Mitarbeitern in das Blut. Aber die Aliens zeigten keine Reaktion. Bis jetzt. „Das… das ist gut. Das heißt ihr müsst keine Stoffe mehr liefern.“ Das Labor befand sich in der größten Geheimbasis der wenigen Menschen, die den Kampf noch nicht aufgegeben hatten, auf Madagaskar. Hier wurden Pläne aufgestellt, Guerilla-Angriffe koordiniert, die Gifte hergestellt und an möglichst viele Sklaven zum Testen verteilt. „Eben! Wir haben die Informationen schon weitergeleitet. Während wir reden werden hunderte Schiffe zurückerobert und sind auf dem Weg zum Treffpunkt bei Uranus.“ „Sehr gut. Sagt meinem Bruder, er soll auf mein Zeichen warten.“ „Werde ich. Und du lenkst irgendwie Baltsch ab“ „Baljv´c“ „Mein ich ja.“ Als Rhin schon mehrere Schritte zum Ausgang gemacht hatte, rief er ihr nach: „Hey, Rhin! Wir werden diesen Krieg gewinnen.“ „Ja. Das werden wir.“

„Gut gemacht, Rhin. Der Chemiker hat alles im Verhör bestätigt. Morgen werden wir mit der gesamten restlichen Flotte aufbrechen. Sie haben uns schon so viele Schiffe gestohlen, dass wir nicht riskieren können, mit weniger zu kommen. Aber wir werden diese Parasiten ein für alle Mal vernichten. Und dann zeige ich dir meine Heimat.“ Rhin hörte Baljv´cs Worte und wie er den Raum verließ. Doch ihre Augen waren auf den Bildschirm vor ihr gerichtet. Sie spielte die Aufzeichnung ein weiteres Mal ab. Ein weiteres Mal verschwand Madagaskar in einer Explosion. Sie begann zu weinen.

Der Weltraum hinter Uranus war leer. Rhin und Baljv´c standen schweigend nebeneinander vor dem Sichtfenster. Keines der vielen Körperteile Baljv´cs rührte sich, ein Zeichen von Nervosität der normalerweise zappeligen Aliens. Vermutlich versuchte er eine Antwort auf die fehlenden Feinde zu finden. Rhin gab ihm die Antwort. „Sie sind vor wenigen Stunden im Orbit der Erde angekommen und haben alle eurer Raumschiffe und Schiffswerften zerstört. Wahrscheinlich hat der Angriff auf eure anderen Basen auch schon begonnen.“ Zum ersten Mal in 43 Jahren blickte sie ihm in die Augen. „Und du kannst nichts dagegen tun.“ Baljv´c öffnete den Mund. Dann stieß er ein Keuchen aus und brach in sich zusammen. Die Tränen im Wasser hatten gewirkt. Rhin lächelte, als sie auf seine Leiche herabblickte. Die Menschen hatten ihre Heimat zurückerobert. Aber vor allem hatte sie über Baljv´c triumphiert. Sie dachte an Ben und all die anderen, die sie für diesen privaten Sieg getötet hatte. Aber Opfer müssen eben erbracht werden, um zu gewinnen. Dann hatten die anderen Aliens der Brücke sie erreicht.

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Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Marco Deutscher