Wunderland Bollywood

Bollywood ist zahlenmäßig produktiver als Hollywood. Die indische Traumfabrik ist der mediale Export-Schlager Indiens. Was ist dran am Bollywood-Hype und wie macht man dort Karriere? Lizzynet-Reporterin Tina Groll ging in Bombay auf Spurensuche.

Indien ist in. Ob das Gandhi-Restaurant um die Ecke, die Bhangra-Party am Wochenende, die Bollywood-Movie-Abteilung in der Videothek oder das Hindu-Zeichen auf der neuen Handtasche - an Indiens medialen (und modialen) Exportschlagern kommt man irgendwie nicht mehr vorbei. Alles Bollywood, oder was?

Große Studios, aber keine Besucher

In der Millionen-Metropole Bombays werden so viele Filme produziert wie sonst nirgendwo auf der Welt. Wer sich in Bombay auf die Suche nach dem Ort Bollywood begibt, wird allerdings schnell enttäuscht. Während man im Zentrum der rastlosen Stadt selbst in Asiens größtem Slum in wirklich jeder Straße auf gleich mehrere Kinos trifft, sucht man nach den großen Filmparks vergeblich. Die Studios haben sich in den Vororten angesiedelt - dezentral und ohne Möglichkeit zu einer Besichtigung. Besucher sind hier auch gar nicht erwünscht, es sei denn, sie haben einen Job als Statist ergattert. Wer in Bombay die große Stadttour am Gate of India bucht, bekommt allenfalls die verschlossene, von Security bewachte Toreinfahrt eines der großen Studios zu Gesicht. Fotografieren ist meistens nicht gestattet!

Jährlich über 1000 Kinofilme

Und längst nicht alle großen Studios sitzen in Bombay. Auch in Hyderabad und Dehli wird gedreht, getanzt und gesungen, was auf Film gebannt werden kann. Die indischen Filmproduzenten werfen jährlich über tausend Kinofilme auf den Markt. Die handeln meist von Liebe, dauern mindestens drei Stunden und zeigen neben einer seichten Story vor allem oft hundertköpfige Tanzensembles in kitschig ausstaffierten Kulissen. Die Filme werden von rund 3,6 Milliarden Menschen weltweit gesehen! Hollywood produziert gerade einmal etwa 600 Filme, die von nur 2,5 Milliarden Menschen weltweit angeschaut werden. Was ist bloß so faszinierend?

Mitfühlen und mitweinen mit einem Schuß Ironie

Der Hype um Indiens Kitsch könnte ebenso wie der Erfolg von Telenovelas oder das einstige Schlager-Revival erklärt werden. Nach dem Mannheimer Trendforscher und Sozialpsychologen Carlo Michael Sommer ist die Kultur Indiens dem Westen fremdartig, exotisch und vertraut zugleich. Aus dem reichhaltigen Kulturangebot könne sich fast jeder nach Bedarf bedienen. Zugleich funktioniert Bollywood vor allem emotional wie eine Telenovela: Realitätsflucht in eine schöne, bunte, doch sehr kitschige heile Welt ist möglich. Das macht Spaß, man darf mitfühlen und mitweinen und gleichzeitig alles ironisch betrachten. Immerhin weiß ja jeder: Hier geht es nicht um Echtheit. Es geht um Schönheit.

Gegensatz zwischen Realität und Bollywood

Gut zu wissen, denn die reale Begegnung mit Indien sieht anders aus und ist für die Durchschnitts-Westlerin oft mit einem Kulturschock verbunden. Armut, Elend, Überbevölkerung und Umweltzerstörung kommen in Bollywood-Movies meist nicht vor. Auf dem Subkontinent sind das aber die dringlichsten Probleme. Das finden auch Bollywood-Filme-Macher selbst. Und trotzdem: Irgendwie steht Bollywood für Indien und seine kulturelle Vielfalt. Auch wenn Karriere in der indischen Traumfabrik ein operatives Geschäft ist.

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Traumjob Filmemacher

Wie lebt es sich so als Filmemacher? Über diese und andere Fragen hat sich Tina Groll mit dem 33-jährigen Filmemacher Deepak Dwivedi. In einem Interview spricht er über seinen Traumjob als Filmemacher und bietet so einen Blick hinter die Kulissen.

Hier geht´s zum Interview

Autorin / Autor: Tina Groll - Stand: 15. August 2006