Nebelmenschen

Wettbewerbsbeitrag von Alexandra Pezzano, 26 Jahre

Cluir Solanum schritt durch die langen, dunklen Korridore des unterirdischen Tunnelsystems des Planeten „Noir“, der im hintersten Teil der Galaxis lag. Weit weg von der Erde, die bereits lange im toten Schatten ihrer selbst lag. 2100 war der Mensch gezwungen gewesen, den Planeten Erde zu verlassen. Die Bedingungen des menschengemachten Klimawandels zwangen das Volk dazu. Eine Gemeinschaft von wenigen, meist reichen oder sehr talentierten Menschen, schaffte es zum Planeten „Noir“. Doch Noir war kein freundlicher Planet. Mühsam bauten die zukünftigen Generationen den Planeten so auf, dass er den übergebliebenen Menschen ein Zuhause bot. Doch auf Noir gab es kein Tageslicht. Physikalisch gesehen gab es das schon, doch Noir wurde von einem so dichten Nebel heimgesucht, dass die Sicht permanent versperrt war, und so wurden die „Nebelmenschen“ zu einem anderen Volk.

Während die damalige Menschheit unaufhörlich nach dem Fund von außerirdischen Leben träumte, waren sie nun selbst zu außerirdischen Wesen geworden, denn die Bedingungen von Noir hatten sie verändert. Das Melanin im Körper der sogenannten „Nebelmenschen“ oder „Noirmenschen“ hatte sich verändert. Alle Nebelmenschen hatten weiße, manchmal auch graue Haut, hatten hellgraue oder weiße Haare und eine eisblaue, hellgraue oder weiße Augenfarbe. Sie sahen aus, als wären sie von einem Schneezauber verflucht worden. So sah auch Cluir aus.

Es war das Jahr 7177, als Cluir Solanum, die oberste Sternenkurife Rang I sich auf dem Weg befand, um sich mit dem Faltervolk zu treffen. Angestrengt schritt sie schnellen Ganges zum Konferenzraum, welcher bereits mit anderen Anwesenden gefüllt war. Ihre unterste Sternenkurife Rang II und weitere wichtige Funktionäre, die die Kriegsflotte von Noir bedienten, waren anwesend und saßen seelenruhig auf ihren Konferenzstühlen. Ebenfalls anwesend war ein Sprecher des Faltervolks. Cluir nahm Platz und starrte in die riesigen, roten Augen des Falters, der ihr gegenüber saß.

„Kazaghc!“, rief Cluir und signalisierte mit diesem Wort, dass auch die anderen Nebelmenschen von Noir sich nun setzen durften.

„Cluir Solanum, oberste Sternenkurife Rang I der Luftwaffe von Noir. Ich fordere Euch auf, dass Ihr umgehend eine Erklärung abgebt, warum die Luftwaffe von Noir am gestrigen Tag den militärischen Stützpunkt der Mol des Planeten Nápad angegriffen hat. Wir werten dies als Kriegserklärung, sollte es sich nicht um einen Unfall handeln.“

Nápad war der nächstgelegene Planet Noirs und von den Mol, umgangssprachlich dem Faltervolk, bewohnt. Eigentlich ein friedliches, doch zutiefst stolzes Volk. Sie mochten die Nebelmenschen nicht sonderlich, da sie sie weiterhin als „Kinder der Erde“ bezeichneten, obwohl die Nebelmenschen ihr Zuhause auf Noir gefunden hatten.
Die Mol erinnerten an übergroße Motten. Nur dass sie kein Licht mochten, genau wie die Noirmenschen. Ihre Flügel hatten eine Spannweite von drei Metern und wirkten damit bedrohlich, doch eigentlich waren sie friedlich. Bis auf wenige Zwischenfälle. Genau diese Zwischenfälle hatten dafür gesorgt, dass die Atmosphäre der beiden Völker nun angespannt war.

„Nun, Tidak“, adressierte Cluir den Sprecher der Falter nun persönlich: „Ich bin nicht nur eine Sternenkurife und verantwortlich für die Luftwaffe von Noir, sondern ich verstehe mich auch als interstellare Diplomatin. Ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden können, doch bevor wir uns auf den Angriff auf Nápad konzentrieren, reden wir doch über die zunehmende Entführung von Noirs auf Nápad. Wir haben vor Monaten gebeten, diese zu untersuchen. Sie tun nichts.“

Tidak der Falter wurde sichtlich wütend und stellte seine Fühler bedrohlich aufrecht. „Wollt Ihr etwa behaupten, dass wir friedliche Mol absichtlich Noir verschwinden lassen? Ist das der Grund für Euren Angriff? Ungeduld?“

„Das haben Sie jetzt gesagt. Nicht ich. Ich dementiere diesen Angriff. Es hat nie einen Angriff gegeben“, sprach Cluir.

„Ihr seid wie die Menschen. Ihr musstet wegen Krieg euren Planeten verlassen und nun wollt ihr erneut Krieg. Grausamkeit liegt euch im Blut.“

„Grausamkeit ist eine Definition. Gerechtigkeit auch“, antwortete Cluir rätselhaft.

Tidak zögerte kurz, doch der Stolz seines Volkes erinnerte ihn an seine Aufgabe. „Nun gut. Es bricht mir mein Herz, den interstellaren Frieden zu stören, doch hiermit erkläre ich den Nebelmenschen des Planeten Nuir den Krieg, solange bis die Nebelmenschen sich zu dem Angriff bekennen und den Schaden, den sie angerichtet haben, beheben.“

Und so entstand der erste der vielen interstellaren Kriege, an welchem die Nachfahren der Erdmenschen beteiligt waren, denn Zeit sorgte dafür, dass Wunden heilten, sodass neue Wunden entstehen konnten.

Am ersten Tag des Krieges griffen die Mol die größte oberirdische Forschungsstation der Noirmenschen an. Etliches Wissenschaftspersonal starb. Die Noirmenschen zerstörten die zweitgrößte Stadt der Mol und töteten etliches Zivilvolk.

Am zweiten Tag des Krieges sagte Cluir zur Regierung von Noir: „Bitte um Erlaubnis die neuen Laserwaffen zu erproben“ und sie wurde ihr erteilt. Mehr Mol starben.

Am dritten Tag des Krieges wusste gefühlt niemand mehr, warum dieser Krieg überhaupt sein musste. Doch Cluir wusste es. Sie hatte die Kriegsführung aus emotionalen Gründen zugelassen, denn auch wenn sie kein Erdmensch war, war sie ein Mensch.

Vor Monaten verschwand ihre Schwester Nadal Solanum auf Nápad und niemand wusste wieso. Sie gab den Mol die Schuld und wollte Rache. In ihrer Machtposition war sie in der Lage, ganze Sterne zu versetzen, um diese zu bekommen, doch Rache und Gerechtigkeit durften niemals verwechselt werden, auch nicht im Weltall.

Der Krieg dauerte wenige Monate. Dann trafen sich endlich die Regierenden der beiden Planeten und handelten. Gegenseitige Embargos wurden geschlossen, doch bis dahin hatte es viele Todesopfer gefordert und Cluir hatte nie ihre vermeintliche Gerechtigkeit erhalten.

Mensch bleibt Mensch.

Doch was will der Mensch sein?

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Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

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