Zwischen den Welten

Wettbewerbsbeitrag von Ani, 14 Jahre

Die Sterne ziehen beinahe geisterhaft über uns hinweg. Wie kleine Glühwürmchen leuchten sie. Von hier aus sehen sie so niedlich und klein aus, aber ich weiß, dass so viel mehr hinter ihnen steckt.
Ich wende mich mit einem Seufzen ab. Obwohl die Sterne ein solch bannender und wunderschöner Anblick sind, können sie mir die Nervosität nicht nehmen. Schon seit Aufbruch schlägt mein Herz schnell und aufgeregt, pumpt Adrenalin durch meinen Körper und lässt mich kaum schlafen.
Der Leiter unserer Mission, Kapitän Neve, hat die Besten aller Besten ausgewählt. Es war eine riesengroße Ehre, dass ich, eine einfache Biologiestudentin, ausgewählt wurde, ihn zu begleiten.
Meine Augen füllen sich mit Tränen bei dem Gedanken an meine Familie, die so weit von mir entfernt noch auf der Erde ohne mich weiterlebt. Die von mir womöglich nie mehr haben wird als alte vergilbte Fotos. Erinnerungsstücke, auf denen ich noch als kleines, siebenjähriges Mädchen die Zunge herausstrecke und mein Schokoladeneis in braunen Sturzbächen auf mein Shirt tropft.
Sari. Damals haben sich meine Eltern wohl nicht viel dabei gedacht, mir den Namen mit der Bedeutung ‚Sonne‘ zu geben.
Der Kontakt zur Erde ist schon vor einigen Tagen abgebrochen und unsere Kapsel, die Viatrix, fliegt seither durch das tiefschwarze All. Unsere Mission - eine womöglich hirnrissige Aktion mit ungewissem Ausgang.
Als erstes Forscherteam der Geschichte haben wir, eine Mannschaft aus sechs leichtsinnigen Freaks, uns vorgenommen, das Mysterium der Wurmlöcher zu lösen. Viele Theorien gibt es über sie und ihre Existenz wird seit jeher angezweifelt. Aber physikalische Vermutungen und merkwürdige Aufzeichnungen des Sternenhimmels verleiteten Kapitän Neve dazu, eine Expedition zu wagen.
„Noch etwa fünf Minuten“, erklingt seine Stimme und ich schaudere. Gänsehaut erstreckt sich über meine Arme und mein Herz schlägt so aufgeregt, dass ich das Gefühl habe, es zerspränge gleich.
Ich lasse mich zur Glaskuppel treiben, an der bereits die anderen Besatzungsmitglieder versammelt sind und ins All starren. Und tatsächlich: je näher wir kommen, desto klarer wird ein riesiges Loch mitten im Universum. Es scheint, als würde aus seinem atemberaubenden Inneren ein Licht ausbrechen. Magisches, fast unrealistisches Licht, das mir den Atem raubt. Kurz hält auch mein Herz inne und für einen Moment wird alles still. Das bläuliche Licht spiegelt sich an der Scheibe, die es in Tausenden von Tönen reflektiert.
Beinahe wie meine eigene Ergriffenheit spüre ich die der Crew. In den letzten Wochen sind wir so zusammengeschweißt, dass wir wissen, wie die anderen fühlen.
Ich nehme Kapitän Neves Stimme nur am Rande wahr, als wir das Wurmloch erreichen.
Die Viatrix hält zielsicher ihren Kurs und an uns rasen Tausende von Sternen vorbei. Bei dem Gedanken an die Stunden, die wir in diesem Moment hinter uns lassen, zieht sich alles in mir zusammen. Das war’s. Für mich sind es nur wenige Sekunden, zuhause kommen Tage und Nächte.
Ich schlucke. Was würde von meinem Leben noch übrig sein, wenn ich wiederkehren würde? Würde es mein WG-Zimmer, meine Freunde, meine Familie noch geben?
Die Sekunden kommen mir plötzlich unfassbar lang vor und das Schweigen der anderen sagt mir, dass sie genauso fühlen wie ich. Aber das ist der Preis. Das ist das, was man für solch eine Erfahrung geben muss.
Die Zeit zieht sich und es dauert schier ewig, bis wir den Ausgang des Wurmlochs erreichen.
Doch offenbart wird uns schließlich ein Blick auf ein komplett fremdes All. Eine leuchtende Milchstraße liegt vor unseren Augen. Die Sterne strahlen kräftig und in den verschiedensten Tönen von Blau, Gelb, Weiß und sogar Rot oder Violett.
Meine Augen sind noch immer ungläubig auf dieses Wunder vor mir gerichtet, als ich realisiere, dass wir gerade wirklich hier sind.
Ein erleichtertes Lachen dringt aus meiner Kehle und ich kann nicht anders, als Kapitän Neve um den Hals zu fallen und vor Freude zu weinen. Die Sterne, diese Galaxie vor mir, sind gerade wirklich da.
Meine Augen leuchten wie die eines kleinen Kindes und mein Lachen vermischt sich mit den Schluchzern der Freude. Wir haben es geschafft, wir haben überlebt! Wir haben tatsächlich ein Wurmloch durchquert und dürfen als erste Menschen einen solch wundervollen Anblick genießen.
Kapitän Neves von Falten gezeichnetes Gesicht ist vor Verzückung zu einem Lächeln verzogen und die glänzenden Augen der anderen kann ich nur zu gut nachvollziehen.
Die Viatrix fliegt, nun mit geringerer Geschwindigkeit, weiter auf das unbekannte All zu. Riesige Planeten zeichnen sich in der Milchstraße ab und erwecken in mir die Erinnerung an Filme wie Avatar oder Dune. Ich unterdrücke den Impuls zu schreien, während ich mir die Tränen aus dem Gesicht wische.
Durch die Flüssigkeit erkenne ich einen großen Planeten, dessen Oberfläche fast ausschließlich von Wasser eingenommen wird. Lange Wolkenfäden ziehen sich über den großen blauen Ball und obwohl wir auf seiner Schattenseite stehen, funkelt das Wasser wie ein Saphir. Ein kleiner Mond umläuft fröhlich den Planeten, während die Sterne wie kleine Scheinwerfer um den Himmelskörper tanzen.
Die Crew hält vor Faszination und vor Angst, bei der kleinsten Bemerkung dieses Wunder zu zerstören, den Atem an.
Wir passieren den blauen Riesen und eine fremde Sonne scheint uns grell in die Augen. Ich kneife meine Lider zusammen und hebe eine Hand, aber es bringt nichts. Immer stärker wird das Licht und eine Stimme durchschneidet die Stille.
„Hast du das mitbekommen, Sari?“, ruft sie. Ich schlucke. Diese Stimme kenne ich; es ist Sue, meine Mitbewohnerin. Noch immer blinzele ich gegen das Licht der hereinscheinenden Sonne an. „Die Moderatoren sagen, dass die Viatrix vermutlich vor einigen Stunden das mögliche Wurmloch erreicht haben könnte. Nun wird gehofft, dass alles gut verläuft.“
Ich antworte nicht. Weiß nicht, ob ich schreien oder weinen soll. Ob ich Erleichterung oder Trauer fühlen soll. Es ist alles nur ein Traum gewesen.
Und ich bin Sari, eine einfache Biologiestudentin in einem kleinen WG-Zimmer und alten vergilbten Fotos an den Wänden.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Ani