Emotionales Multitasking

Neurowissenschaftler untersuchten, wie wir uns an Berührungen erinnern

"Du wirst meine Küsse und Umarmungen bestimmt schnell vergessen, wenn du einen Neuen hast!" Auf solche Sätze eures Liebsten könnt ihr nun ganz überzeugend "Nein, auf keinen Fall!" antworten, denn eine neurowissenschaftliche Studie belegt: der Mensch kann mehrere Berührungsempfindungen gleichzeitig erinnern und abrufen, aber nur dann, wenn er sich bewusst auf diese Berührungen konzentriert hatte. Neurowissenschaftlern der Charité–Universitätsmedizin Berlin ist es erstmals gelungen, die bewusste Kontrolle von Berührungsempfindungen im menschlichen Arbeitsgedächtnis zu dokumentieren. „Eine neue Berührung löscht die Erinnerung an eine vorangegangene Berührung im Arbeitsgedächtnis nicht aus, sondern neue und alte Berührungserinnerungen bleiben unabhängig voneinander erhalten, wenn der Mensch die Berührungen aufmerksam registriert hatte“, so die Studienleiter, deren Arbeit nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift PNAS* publiziert wurde.

Die Wissenschaftler der Abteilung für Neurologie und dem Bernstein Center for Computational Neuroscience an der Charité gingen der Frage nach, in welcher Form eine empfundene Berührung im menschlichen Arbeitsgedächtnis abrufbar ist. Das Arbeitsgedächtnis ist Teil des menschlichen Erinnerungsvermögens. Es ist beispielsweise zuständig für die vorübergehende Speicherung von Informationen, welche wichtig sind, um die uns gegenwärtig umgebende Umwelt zu verstehen. Im vorliegenden Versuch wurde den VersuchsteilnehmerInnen über taktile (d.h. den Tastsinn ansprechende) Stimulationsgeräte, wie sie für das Lesen von Blindenschrift verwendet werden, Vibrationen mit zwei unterschiedlichen Frequenzen auf den Zeigefinger übertragen. Anschließend wurde ihnen mitgeteilt, welche der beiden Frequenzen sie mit einer folgenden Testfrequenz vergleichen sollten.

In den Gehirnregionen des „Fühlzentrums“, also dort, wo die Informationen der Tastsinnesorgane zuerst hingeleitet und verarbeitet werden, stellten die ForscherInnen eine systematische Veränderung der Hirnaktivität fest, wenn die Probanden sich an eine Berührung erinnerten. Diese veränderte Aktivität, die in den sogenannten Alpha-Wellen der Gehirnschwingungen zu sehen war, war in diesen sogenannten frühen Hirnregionen jedoch noch ungenau in Bezug zur gestellten Aufgabe.

Die Erinnerung an unterschiedliche Berührungen, also die Unterscheidung zwischen den beiden Frequenzen mit denen die Versuchspersonen stimuliert wurden, findet dann in den höheren Gehirnregionen, im sogenannten Frontallappen, statt. Hier fanden die Forscher Hirnschwingungen einer bestimmten Wellenlänge, die sogenannten Beta-Schwingungen, die systematisch durch die Erinnerung an die beiden unterschiedlichen Frequenzen der Vibration verändert wurden. Interessant war für die WissenschaftlerInnen die Beobachtung, dass die Erinnerungsaktivität nicht auf die zuletzt empfundenen Reize beschränkt bleiben muss. Diese Beta-Schwingungen gerieten ebenso in Bewegung, wenn die Versuchspersonen aufgefordert wurden, sich an den ersten Reiz zu erinnern. Diese Ergebnisse zeigen, dass im menschlichen Frontallappen mehrere Berührungen gleichzeitig abgespeichert werden können, und wir können sie bewusst ansteuern.

Wenn wir aber die Erinnerung an schöne Stunden mit dem oder der Liebsten behalten wollen, müssen wir uns ganz auf den Augenblick einlassen - und am besten noch genießen ;-).

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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 11. Mai 2011