Bewusstes und unbewusstes Erinnern

Gedächtnis hat zwei Netzwerke im Gehirn

Ein Streit auf der Straße kann unsere Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte der Szene lenken: Konzentriert man sich auf das, was dort geschrien wird, kann man sich später vermutlich an das Thema des Streits erinnern, vielleicht aber nicht an die Kleidung der Streitenden. Konzentriert man sich dagegen sehr auf das Aussehen, kann man später wohl eher Details über die Farbe der Kleidung als über den Inhalt des Streits wiedergeben. Erfolgreiches Erinnern hängt also immer auch davon ab, welcher Teil eines Gedächtnisinhaltes (z. B. oberflächliche oder inhaltliche Merkmale) aktuell von Bedeutung ist.

Zwei Netzwerke im Gehirn

In einer Studie an der Magdeburger Universitätsklinik für Neurologie fanden Neurowissenschaftler zwei Netzwerke im Gehirn, die beim Lernen qualitativ unterschiedliche Merkmale einer Information abspeichern. In einem Versuch maßen sie die Hirnaktivität von ProbandInnen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT), während diese sich lange Wortlisten merken sollten. Dieser Lernphase folgte ein zweistufiger „Gedächtnistest“. Dabei blitzten Wörter für nur extrem kurze Zeit (33-66 Millisekunden) auf dem Bildschirm auf. Die VersuchsteilnehmerInnen sollten zunächst versuchen, diese Wörter zu identifizieren. Danach sollten sie außerdem angeben, ob es sich bei dem eben gezeigten Wort um ein zuvor gelerntes oder um ein neues Wort handelt. Zuvor gelernte Wörter wurden wesentlich besser erkannt als neue Wörter. Diesen Effekt bezeichnet man als implizites (unbewusstes) Gedächtnis.

Bewusstes und unbewusstes Erinnern

Die Hirnforscher analysierten nun die Hirnaktivität der ProbandInnen während des Lernens und zwar getrennt nach Wörtern, die später bewusst, unbewusst oder überhaupt nicht erinnert werden konnten. Es zeigte sich zum einen, dass ein bereits bekanntes Netzwerk aus Hippocampus, unterem Stirnlappen und oberem Scheitellappen späteres bewusstes (explizites) Erinnern vorhersagte. Zum anderen entdeckten die Forscher aber auch ein unabhängiges Netzwerk von Hirnregionen des oberen Stirn- und unteren Scheitellappens, in dem erhöhte Aktivität das spätere Erkennen der Wörter, also das unbewusste Gedächtnis, vorhersagte. Erstaunlicherweise entsprach dieses Netzwerk exakt den Hirnregionen, die typischerweise auch Vergessen im bewussten Gedächtnis vorhersagen. Die Magdeburger Forscher vermuten, dass dieses Netzwerk immer dann aktiv ist, wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit auf die eher oberflächlichen Merkmale (z.B. das Aussehen) einer Information richten. Diese Art der Verarbeitung wirkt sich positiv auf das spätere Erkennen, aber negativ auf das bewusste Erinnern aus.

Oberflächliche Gedächtnisspuren

Beim Lernen scheinen also unterschiedliche Netzwerke im Gehirn verschiedene Aspekte von Inhalten abzuspeichern. Aktivität in denjenigen Regionen, die späteres bewusstes Erinnern vorhersagen, spiegelt vermutlich das Verarbeiten der Wortbedeutung wieder. Dies wirkt sich zwar einerseits positiv auf das bewusste Gedächtnis, gleichzeitig aber auch negativ auf das unbewusste, visuelle Verarbeiten einer Information aus. Ebenso gibt es Hirnregionen, die die visuellen Aspekte einer Information verarbeiten und eine eher oberflächliche Gedächtnisspur hinterlassen, deren Aktivität aber negative Konsequenzen für das spätere bewusste Erinnern dieser Information haben kann.

Die entsprechende Studie erschien in der aktuellen Ausgabe des "Journal of Neuroscience".

Lies im Netz

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 8. Oktober 2010