Was höre ich da?

Die Kassette lebt mit

»Neben der Musik auf einem Tape verbinde ich halt auch Situationen oder Gefühle damit. Es ist so, dass auf der einen Seite irgendwie Erinnerungen geweckt werden können, man aber auch immer wieder neue Sachen damit assoziieren kann. Wenn du die Kassette später wieder hörst, ist die Assoziation zwar noch da, aber es kommt auch wieder eine neue dazu.
Im Laufe ihres Lebens kriegt die Kassette ja z.B. Macken ab, Aussetzer und so weiter. Das sind für mich auch Zeichen, dass die Kassette mitlebt.«
(Interview-Zitat einer 21 jährigen Studentin zum Thema Mixtape)

"C 90 - Vom Umgang mit einem technischen Speichermedium"

Gerrit Herlyn und Thomas Overdick initiierten an der Universität Hamburg das Seminar "C 90 - Vom Umgang mit einem technischen Speichermedium", in dem das Phänomen Mixtape untersucht werden sollte. Neben theoretischen Grundlegungen wurden 80 Interviews geführt, sowie 120 E-Mails und Briefe ausgewertet wie auch die dazugehörigen Musiktapes gesammelt.

Über den Umgang mit dem technischen Speichermedium Kassette lässt sich sagen, dass er sich durch die Individualität der Gestaltung und den Moment der Erinnerung auszeichnet:

  • Die Kassette bin ich
    Die Mixkassette ist ein sehr persönliches Geschenk, mit dem sich der Geber persönlich, wie auch emotional ausdrückt.
    Die emotionale Komponente kann zum einen darin bestehen, dass man "seine" Musik aufnimmt sowie einen gewissen Zeitfaktor aufwendet, um das Tape zu gestalten (akkustisch, wie visuell). Zum anderen kann dadurch dezent (an-)geflirtet werden, indem man der Person der Begierde in musikalischer Form seine Avancen macht.
  • Das Medium ist die Botschaft
    Der Mixkassette haftet eine gewisse Nostalgie an. Das kommt zum einen dadurch, dass im Vergleich zu den neuen, digitalen Medien, die Kassette "alt" ist und sie in ihrer Aufnahmequalität wie auch Wiedergabe nicht die "Sauberkeit" hat wie eine CD. Aber gerade dieses Knistern und Rauschen erzeugt eine "Wärme" und Sinnlichkeit, die emotional belegt werden kann.
    Der Zeitaufwand, den die Aufnahme des Tapes in Anspruch nimmt, ist Ausdruck von Muße. Wenn es sich um Geschenk für jemand handelt, dann drückt dieser Zeitaufwand die "Wichtigkeit" des/der EmpfängerIn aus.
  • »Soundtrack zum Leben«
    Das Tape wie auch die Auswahl der Musikstücke sind für den Besitzer oder die Besitzerin Sinnbild für eine bestimmte Lebensphase. Das beginnt dann schon, wenn das Tape aufgenommen wird, weil man bestimmte Lieder gerade gerne hört und geht so weiter, dass bei wiederholtem Hören die Erinnerungen zu dieser Phase hervorgerufen werden. Es werden also nicht nur die geliebten Songs auf der Kassette abgespeichert und gesammelt, sondern auch die damit verbundenen Gefühle, Gedanken, Gerüche, Menschen und Orte.

Gerade die Sinnlichkeit der Kassette, die durch Rauschen und Knistern ensteht wie auch die Zeit, die sie fordert, um sie zu bespielen, hebt sie von anderen Speichermedien ab. Und in einer Welt, in der alles möglichst glatt und klar klingen soll, setzt sie einen Kontrapunkt.

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Autorin / Autor: Peggy Förster - Stand: 6. Juni 2003