Liebenswerter Dickkopf

Auf eine Weise wird vieles wieder wie bei kleinen Kindern

Keine Fortschritte mehr

Auf eine Weise wird vieles wieder wie bei kleinen Kindern: Unsere Großeltern werden unselbstständig und abhängig von unserer Hilfe. Nur machen sie im Gegensatz zu früher keine Fortschritte mehr. Kleine Kinder brauchen auch andauernd Hilfe, aber es geht doch irgendwann voran. Selbst wenn es hundert Versuche dauert, bis ein Kind seine Schuhe binden kann, früher oder später fruchten die Bemühungen. Von meinem Opa so etwas zu erwarten, wäre utopisch.

Ich glaube, in seinem Kopf bin ich immer noch ein kleines Kind. Auch sonst ist in seinen Vorstellungen vieles stehen geblieben. Da sind Schwaben und Franken noch im Streit, Familien singen Volkslieder und eine kleine Elite studiert. Die Engländer, das sind unsere Feinde und die Frauen gehören an den Herd. Diskussionsende. So ein Paralleluniversum kann einen wahnsinnig machen. Es braucht viel Verständnis und Toleranz, um mit solchen überholten Ansichten zurechtzukommen.

*Liebenswerter Dickkopf*
Es ist eine Illusion zu glauben, dass man mit dem Alter seine Schwächen ablegt. Im Gegenteil, der Dickkopf meines Opas ist eher größer geworden. Er will morgens nicht aufstehen, nachts nicht ins Bett und glaubt auch dazwischen, alles besser zu wissen. Nein, er hat die Tasse nicht umgeworfen und doch, seine Augentropfen hat er schon genommen. Ich kann mich an keine Situation erinnern, in der er sein Unrecht eingestanden hätte.

Von Angehörigen verlangt es große Einschnitte, eine pflegebedürftige Person aufzunehmen. Man ist lang nicht mehr so ungebunden, kann nicht einfach die Tasche packen und in den Urlaub fahren. Der ganze Alltag meiner Eltern richtet sich nach meinem Opa.

*Die andere Seite*
Aber auch für meinen Opa ist die Situation schwer. Stück für Stück gibt er die eigene Selbstständigkeit in fremde Hände. Wie ganz früher entscheiden andere für ihn, was gut und was falsch ist. Nur sind diesmal die Rollen vertauscht. Es ist nachvollziehbar, wenn ältere Menschen sich da ihrer Würde beraubt fühlen und ein Stück Selbstachtung verlieren.

Sie haben ein Leben lang für die eigene Existenz gekämpft – und jetzt? Appetit, Gewicht und Stimmvolumen lassen nach, stattdessen frieren sie und sind ständig müde. Und die Zeit, die sie wach sind, muss auch erst einmal rumgebracht werden. Denn wie beschäftigt sich ein Mensch, der kaum noch hört und sieht? Permanente Langweile entsteht, wenn man nicht in der Lage ist, längere Gespräche zu verfolgen oder alleine spazieren zu gehen.

*Verdrängte Diskussion*
Diskussionen um Kinderkrippen klingen momentan nicht ab, aber das Thema Altersheim dringt trotz der Bevölkerungsentwicklung kaum in unser Bewusstsein. Dabei gibt es doch auch hier nicht genug Plätze, zu niedrige Renten für die Preise und überarbeitetes Personal.

Man kann niemandem einen Vorwurf machen, wenn er sich nicht mit Zukunftssorgen überladen will. Allerdings ist es naiv zu glauben, alle Rentner sonnen sich auf Mallorca oder sitzen als fidele Mittsechziger auf Gymnastikbällen. In Wahrheit verbringen besonders ältere Senioren ihren Lebensabend in KrankenhZukunftäusern und Pflegeheimen. Sicherlich gibt niemand seine eigenen Eltern leichten Herzens weg, und hierfür gibt es oft triftige Gründe. Aber viel zu selten pflegen wir heute unsere Angehörigen zu Hause.

Was wir älteren Menschen schulden, ist, ihren Lebensabend zu verschönern. Ein Generationenvertrag, der nur auf Geld beruht, hält die Gesellschaft langfristig nicht zusammen. Sich um die Kinder zu kümmern, ist ein wichtiger Teil von sozialem Engagement. Aber die Alten sollten wir nicht au den Augen verlieren. Wenn mehr Hände sich ans Werk machen, wird die Last leichter. Außerdem könnte das vielen die Angst vor dem Alter nehmen. Was jetzt wie eine große Unbekannte wirkt, verliert an Schrecken, sobald man sich damit auseinandersetzt.

Anika Pfisterer, 19 Jahre alt, Abiturientin, Heilbronn

Autorin / Autor: Anika Pfisterer - Stand: 16. Juni 2008