Fee sieht Rot

Wettbewerbsbeitrag von Emma Sieber, 14 Jahre

Er blinzelt verwirrt.
„Ey, kann ich auf dich zählen?“
Das Mädchen mit den roten Haaren dahinten ist für ihn gerade interessanter als jedes Gespräch.
„Alter, hörst du mir zu?“
Seine Augen fokussieren sich widerwillig auf seine Begleitung. „Ich höre dir doch schon die ganze Zeit zu.“ Seine Stimme klingt desinteressiert.
„Echt? Was versuche ich dir denn die letzten 10 Minuten klar zu machen?“
„Äh…“ Seine Augen huschen wieder zu dem rothaarigen Mädchen. Er kennt sie nicht. „Was hast du gesagt?“
Sein Freund seufzt genervt. „Die ABI-Prüfung. Ich brauche deine Hilfe. Unbedingt!“
Er nickt. Wenn Jakob bei ihm abschreiben will, kann er das nur schwer verhindern. Konnte er noch nie. Aber viel lieber würde er jetzt mit dem Mädchen da sprechen.
Irgendwas Interessantes hat sie an sich. Er weiß nicht genau, was es ist, aber er will es gern herausfinden.
Sie bestellt sich eine Cola und verschwindet zwischen den Menschen.
Die dunklen Schatten verschlucken sie, die roten Lichter reichen nicht mehr bis zu ihr.
„Ich muss kurz auf die Toilette.“ Er entfernt sich von Jakob und läuft in die entgegengesetzte Richtung. Weg von den Toiletten dem Mädchen hinterher.

Das Rot ihrer Haare leuchtet wie Feuer. Sie steht mit dem Rücken zu ihm. Ihre weiße Jeans ist fleckig. Das T-Shirt ist an einigen Stellen gerissen.
„Hey.“
Erschrocken zuckt sie zusammen und dreht sich um.
Ihr Gesicht ist blass. Ihre Augen sind umrahmt von schwarzem Kajal, die Wimpern sind schwer von der Wimperntusche.
„Ich bin Fee.“
Andere Menschen hätten gelacht, es ist ein alberner Name, das findet er auch, aber das Mädchen reagiert nicht. Ihm ist, als würde sie durch ihn hindurch sehen, als wäre er ein Geist.
„Und du?“ Fee versucht ein Gespräch.
In ihren Augen regt sich etwas. Sie blinzelt, ihr Blick gefriert, abweisend schaut sie Fee an.
Ihre Augen haben die Farbe eines Nordlichts. Das Türkis trifft ihn ins Herz.
„Finja.“
Er lächelt. „Finja klingt schön.“ Wahrscheinlich ein norwegischer Name. Passt zu ihren Augen.
Sie lächelt nicht zurück.
Er will sie noch etwas fragen, da tippt jemand auf seine Schulter.
„Ey, hier bist du. Ich suche dich die ganze Zeit. Wolltest du nicht zu den Toiletten?“
„Jakob.“
Jakobs Blick bleibt auf Finja liegen. Anzüglich grinst er.
„Eigentlich wollte ich gehen, aber jetzt.“ Sein Grinsen wird breiter.
Fee kneift verärgert die Augen zusammen. „Lass uns gehen.“
„Alter-“ Jakob sieht Fees Blick und hält den Mund.
Ein Zwinkern Richtung Finja kann er sich dann aber doch nicht verkneifen, ehe er zwischen die tanzenden Menschen eintaucht.
Fee hebt eine verlorene Serviette vom Boden auf, zieht einen Stift aus seiner Hosentasche und schreibt etwas auf das dünne Papier.
Er reicht es dem Mädchen, verabschiedet sich mit einem Lächeln und geht.

Als sie nach Hause kommt, geht die Sonne bereits wieder auf. Rosa und Türkis küssen den Himmel.
Der Schlüssel wiegt schwer in ihrer Hand. Lieber würde sie wieder gehen, sie will nicht zu ihrer Mutter, nicht zu ihrer Schwester. Finjas Hand zittert. Langsam schiebt sie den kalten Schlüssel in das Schloss, dabei rutscht ihr Jackenärmel ein Stück zurück. Die dünnen Narben heben sich klar von ihrem Handgelenk ab.
Sobald sie die Tür öffnet, weht ihr abgestandene Luft entgegen, es riecht nach gerauchtem Gras. Auf dem Sofatisch stehen leere Whisky- und Weinflaschen. Ihre Mutter liegt schnarchend daneben. Finja tut gut daran, sie nicht aufzuwecken. Erst mal muss ihre Mutter den Rausch ausschlafen. Wenigstens sind die Kifferfreunde von Gabriela nicht da.
Leise räumt sie die Flaschen zusammen und bringt sie in den Altglas Container vor der Tür. Saugen wird sie später.

Sie läuft die Treppe hinauf, an den lächelnden Fotos vorbei, die sie am liebsten wegschmeißen würde, aber ihr Vater ist auf vielen von ihnen und die Erinnerung an ihn ist das Einzige, was sie noch am Leben hält. Ihre lächelnde Mutter würde sie am liebsten aus allen Bildern herausschneiden.
In ihrem Zimmer lässt sie sich auf das Bett fallen. Sie ist so unsagbar müde.
Sie zieht ihre Jacke aus, dabei fällt eine zerknüllte Serviette auf den Boden. Es ist die des Jungen aus der Disco. Sie faltet sie auseinander. Seine Telefonnummer steht darauf, zusammen mit seinem Namen.
Sie legt sich wieder zurück auf das Bett und nimmt ihr Handy vom Nachttisch. Der zerkratzte Bildschirm leuchtet hell. Noch haben die aufgehenden Strahlen der Sonne ihr Zimmer nicht erreicht.
Sie findet ihn schnell. Ein Vogel ist als sein Profilbild eingespeichert. Er sitzt auf Fees Schulter. Sein buntes Gefieder leuchtet neben Fees schwarzem Haar.
Sie schaut ihn einfach nur an.
Sein breites Lächeln ist das gleiche freundliche wie vorhin. Es war ihr sofort aufgefallen, schon als er sie noch nicht angesprochen hatte.
Ihre Finger bewegen sich langsam über das Handy. Aufregung flattert wie ein Schmetterling in ihrem Magen.

Die warmen Strahlen der Sonne wecken ihn.
Er setzt sich auf. Sein Handy liegt vergessen auf dem Boden. Er hebt es auf und der Bildschirm leuchtet auf. Da ist eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. Sein Herz beginnt schnell zu klopfen. Er öffnet sie.
Hallo.
Als Fee das Profilbild öffnet, breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
Sie steht barfuß zwischen blauen Wellen. Das Wasser schwappt um ihre Füße. Hinter ihr geht die Sonne unter. Das Licht umrandet sie. Sie wirkt wie ein magisches Wesen.
Finja.
Sie sieht anders aus auf dem Foto.
Seine Finger fliegen über das Display als er antwortet.
Hey.

Er hat ihr tatsächlich geantwortet.
Warum? Niemand möchte noch Kontakt mit ihr. Nicht nach allem, was passiert ist. Und wenn, dann nur mit anzüglichem Grinsen. Wie der Junge, mit dem Fee gesprochen hatte.
Trotzdem geht sie immer wieder in die Disco. Taucht in der Menge unter. Beobachtet die anderen.
Sie ist so in Gedanken, dass sie erst gar nicht merkt, dass er noch eine Nachricht geschickt hat.
Kennst du das Metropolis Kino?
Sie kennt es. Viele ihrer Mitschüler treffen sich dort für Dates.
Der Film Coda läuft da. Hast du ihn schon geguckt?
Ihre Antwort überrascht sie selbst am meisten.
Das Kino kenne ich. Den Film habe ich noch nicht geguckt. Du? Ist er gut?
Oh ja, wunderschön. Zum Weinen. Willst du den Film mit mir gucken?
Gern.
Heute Abend?
Ihr Herz klopft schnell.
Ja.
Sie kennt Fee noch nicht gut, aber sie mag, wie er lächelt.

Es ist früher Abend. Sie geht leise die Treppe hinunter um eine Begegnung mit den Gästen von Gabriela zu vermeiden.
Schnell zieht sie ihre Schuhe an, steigt auf das Fahrrad und fährt los.
Der Fahrtwind spielt mit ihren Haaren, weht ihr ins Gesicht und rauscht in ihren Ohren.
Es ist das erste Mal seit langem, dass sie etwas unternimmt und sich darüber freut.

Er ist richtig aufgeregt. Wippt auf den Fußballen vor und zurück. Es ist nicht seine erste Verabredung mit einem Mädchen, aber dieses Mal ist es anders.
Er sieht sie um die Ecke fahren. Ihre roten Haare flattern wie Flammen im Wind.
Er lächelt breit von einem Ohr zum anderen.
Ein kleines bisschen verliebt.

„Hey.“
„Hallo.“
„Willst du etwas trinken?“
„Gern.“
„Cola oder Wasser?“
„Cola.“
Ihr Mundwinkel zuckt leicht nach oben.
Fees Blick fällt auf einen kleinen Plastikanhänger an ihrem Hals. Er hat die Form eines Schmetterlings.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Emma Sieber, 14 Jahre