Auch mein Leben hat Schattenseiten

Wettbewerbsbeitrag von Charlotte White, 14 Jahre

Ich hatte meiner Meinung nach das perfekte Leben. Meine Eltern hatten genügend Geld und ich war glücklich vergeben. Auch mit meinen Freundinnen verstand ich mich bestens. Sogar die Schule lief gut. Mit anderen Worten: Ich war wunschlos glücklich. Doch aus irgendeinem Grund sollte mir das Glück nicht gegönnt sein.
Ich kann mich noch an alles erinnern. Es war mitten in der Nacht als mich das Klingeln der Tür weckte. Leise stand ich auf und ging die Treppe runter zu der Eingangstür. Wer klingelt denn so spät abends noch? fragte ich mich und schaute durch den Spion von der Tür. Was ich sah, ließ mich erschrocken zurückweichen. Draußen stand die Polizei und dahinter meine Eltern in Handschellen. Was war hier los? Träumte ich nur? Ja bestimmt! Dennoch kniff ich mir in den Arm, um sicher zu gehen. „Scheiße!", entwich es mir. Ich schlief doch nicht. Dass Klingeln der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Ich hatte keine Ahnung, was man ihn so einer Situation machen soll, also öffnete ich die Tür und sah die Polizei fragend an. Zwei Polizisten drängten an mir vorbei ins Innere des Hauses. Das bekam ich aber nur am Rande mit. Meine Aufmerksamkeit lag bei meinen Eltern, die mich bis jetzt noch nicht einmal angeschaut hatten. „Miss Loris, wir müssen ihnen leider mitteilen, dass ihre Eltern schon viele Überfälle getätigt haben und wir sie heute auf frischer Tat ertappten. Da sie dafür ins Gefängnis kommen und nicht länger für dich sorgen können und sie keine anderen Verwandten haben, müssen wir sie leider in ein Kinderheim bringen.", sagte eine Polizisten ernst. „Warte! Was? Meine Eltern sind Verbrecher und das ganze Geld ist geklaut?", fragte ich geschockt und schaute die Polizistin an. Diese nickte nur und warf mir einen mitleidigen Blick zu.
Das war die Nacht, wo sich mein ganzes Leben änderte. Die Nachricht, dass meine Eltern Verbrecher waren, hat sich in der Schule schnell rumgesprochen. Selbst in den Nachrichten kam dazu ein Bericht. Ich kam noch in der gleichen Woche in das Kinderheim, mein Freund machte Schluss mit der Begründung: Wenn deine Eltern Verbrecher sind, dann wirst du bestimmt auch eine. Selbst meine Freundinnen wollten nichts mehr mit mir zu tun haben. So schnell hat sich mein Leben geändert und das schlimmste war, dass ich nichts daran ändern kann. Ich hatte alles verloren, was mir lieb war.
Das Kinderheim, in das ich sollte, war erst in der nächsten Stadt. Was für mich bedeutet, dass ich auf eine andere Schule musste und als ob das alles nicht schon schlimm genug war, hatten auch die anderen Kinder im Heim von meinen Eltern erfahren. Aus Angst, ich würde ihnen auch das Geld klauen, machten sie immer einen großen Bogen um mich. Die einzigen Leute, die nett waren, waren die Betreuer, aber sie konnten auch nicht verhindern, dass ich mich einsam fühlte.
Ich war nun schon eine Woche in dem Heim und hatte immer noch keine Freunde. Es war sogar noch schlimmer geworden, denn eine Gruppe aus Jungs, die mich nicht leiden konnte, hatte angefangen, mich zu mobben. Jeden Tag warten sie, bis ich aus der Schule komme, nur um mir ein Bein zu stellen oder mir den Rucksack vom Rücken zu reisen und ihn in den Dreck zu werfen. Ab und zu musste ich sogar einen Faustschlag einstecken. Das traurige war, dass mir keiner der Betreuer glaubte, weil die Jungs ja sowas noch nie gemacht haben und sie keine der Beweise ernst nahmen, die ich ihnen zeigte.
So verging Woche um Woche und das Gefühl der Einsamkeit wurde immer starker, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich war wie in Trance, als ich von meinem Stuhl aufstand und in die Küche ging. Dort lief ich zu den Schubladen mit dem Besteck und holte mir ein Schneidemesser. Die scharfe Klinge blitzte in der untergehenden Sonne. Langsam legte ich das Messer an meinen Unterarm an und holte tief Luft. Ich fragte mich in Gedanken, ob ich das wirklich wollte, was ich hier mache. Doch dann kamen die Erinnerungen wieder hoch, wie ich meine Eltern in Handschellen gesehen hatte, wie mein Freund Schluss gemacht hat, wie meine engsten Freundinnen nichts mehr mit mir zu tun haben wollten. Die Sachen, die mir die Jungs angetan haben, und all der andere Scheiß, der mir passiert war. Meine Hand bewegte sich wie von selbst und erst, als ich den Schmerz spürte, wusste ich, was ich getan habe. Doch es war mir egal. Ich hatte eh nichts mehr zu verlieren. Der Schnitt blutete, weshalb ich mir ein Küchentuch nahm und das Blut weg wischte. Auch das Messer säuberte ich und legte es zurück an seinen Platz, dann ging ich wieder nach oben und legte mich schlafen. Zum Glück war morgen Wochenende, so konnte ich auf meinem Zimmer bleiben und musste nicht die Jungs ertragen.
Ich wurde am nächsten Morgen durch ein lautes Klopfen an meiner Tür geweckt. Müde gähnte ich ein: Ich bin wach. Was gibt es denn?“ Hinter der Tür antwortete mir einer der Betreuer: „Guten Morgen. Ich wollte dir nur mitteilen, dass du eine neue Mitbewohnerin bekommst.“ Erschrocken riss ich die Augen auf. Ich bekomme was? Eine neue Mitbewohnerin? Bitte nicht, am Ende schließt die sich noch den Jungs an. Doch ändern konnte ich es sowieso nicht, deshalb beschloss ich das Beste daraus zu machen.
Als meine neue Mitbewohnerin da war, ignorierte ich sie erstmal. Doch so leicht wollte sie mir es nicht machen. Mit freundlicher Stimme begann sie mich vollzulabern. „Hallo, mein Name ist Mia, ich bin 15 Jahre und gehe auf dieselbe Schule wie du. Da kannst du mir bestimmt alles zeigen. Außerdem liebe ich Kuchen und spiele gerne Tennis. Wer bist du?“, sagte sie ohne einmal Luft zu holen. „Ich bin Luisa.“, brummte ich gelangweilt. „Das ist aber ein schöner Name! Darf ich dich Lu nennen?“, fragte sie mich zuckersüß. „Wenn du mich dann in Ruhe lässt!“, gab ich genervt von mir. Mia nickte heftig und begann ihr Zeug auszupacken. Wenn ich ehrlich war, mochte ich sie ja schon, nur ich hatte so viel schlechte Erfahrung gemacht, dass ich nicht schon wieder enttäuscht werden wollte.
So vergingen wieder die Tage und mit der Zeit begann ich mich immer besser mit Mia zu verstehen. Langsam erzählte ich ihr, warum ich hier war und was alles passiert ist. Wie sich herausstellte, konnte Mia sehr gut boxen und so ließen mich auch schon bald die Jungs in Ruhe. Mittlerweile sind Mia und ich die besten Freunde und ich habe meine Vergangenheit hinter mir gelassen. Irgendwann werde ich mal meine Eltern im Gefängnis besuchen, um auch mit ihnen alles zu klären. Doch jetzt will ich erstmal wieder schöne Tage erleben und glücklich sein. Vielleicht habe ich doch noch nicht alles verloren, was mir lieb war.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Charlotte White, 14 Jahre