Revolutionär

Wettbewerbsbeitrag von Vincent S., 17 Jahre

Den Gatten zu fragen, ob ihn die Vorstellung reize, seine Mamor Statuen wären womöglich Hüllen von verhungerten Seelen, welche Liebe nie erfahren durften, würde wohl nichts bringen. Ihm fehlte jegliche physische Fähigkeit dazu interessant zu sein. Vermutlich hatte er noch nie von dem Wort Wunschtraum oder Einfallsreichtum gehört. Und wenn doch, buchstabieren würde er es nicht können, die Bedeutung schon gar nicht erklären. Susann war sich des Dilemmas bewusst. Der Tragödie so wie ihrer Verantwortung.
Wobei sich nur immer aufzuregen, fand sie trist. Da war es doch bedeutend angenehmer, das Schöne hervorzuheben, ein Kunstwerk betrachtet die Welt schließlich auch mit glitzernden Augen, so fern es ihr gefiel.
Mit einem Seufzen erhob sich ihr Körper vom kalten Steinboden; zur Treppe; zum Garten hinab.
Das Bestreben, sich zu beklagen entschwand. Es heraus zu schreien! Diese Situation mit Erbostheit und Argwohn zu schimpfen!
Der raue Untergrund scheuerte unbarmherzig. Bei jeder Bewegung schrieen ihre Waden jämmerlich auf. Verkrampften sich, resultierten im Einklang mit dem Knacken ihrer Knie in einer Gänsehaut, die sie innerlich übergoss, kalt zurück ließ.
Solch viele Treppen war wohl keiner gewohnt. Sicherlich die Intention des Architekten, ihrem Mann zu schmeicheln. Als ob er sich nicht schon genug im gedanklichen Bewusstsein seiner Stellung über jenem gemeinen Volk wusste. Nein, natürlich sollte es steht’s die Möglichkeit geben auch nicht nur im sprichwörtlichen, sondern auch reellen Sinne die höher gelegene Position zu beziehen. Folglich der irrational hohe Bedarf an Treppen.
Der sanfte Stoff ihres Kleides fand sich bei jeder Bewegung den Beinen im Weg, wurde hin und her gezerrt, blähte sich auf oder band sich wie eine zweite Haut. Ihr Haar auf selbe Weise spielerisch vom Wind tragend, nahm ihr hin und wieder die Sicht. Ein Lachen entglitt ihr, als die Spitzen ihren Nacken entlang gerissen wurden. Das Bedürfnis, ihrem Drang umherzuspringen nachgebend, zog sie ihre Knie nach oben. Arme den Stoff packend, sich verkrampfend, daran reißend. Die junge Frau sprang mit japsendem kichern die letzten Stufen herab.
Susann hatte sich noch nie in ihrem Leben so frei gefühlt. So wie sie sich frei bewegte, nur je nach Impuls heraus, sie ließ alles gewähren. Sich drehend, schwebend, dem Himmel entgegenstreckend. Selbst ihre Stimme war frei zu tun wie beliebt. Und sie lachte, den glücklichsten aller Laute, zu dem sie imstande war.
Man mag die Situation beurteilen wie objektiv es einem bedarf, Susann erlebte solch reine Freude wie noch nie zuvor.
Da würde doch ein jeder die Annahme treffen, etwas wahrhaft Gutes sei geschehen. Dies wäre jedoch ein solch fataler Irrtum, wie die Pest mit einer gewöhnlichen Grippe zu verwechseln.
Todunglücklich, miserabel oder gar hoffnungslos, so ist die schreckliche Situation der jungen Frau zu beschreiben. Starb sie etwa? Nein, schlimmer, Susann hatte ihre Freiheit verloren. Ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Schicksal wurde genommen. Sie ihrer Familie entwendet, und ihr Wunsch, die Liebe zu erfahren, mit Füßen getreten. Nicht untypisch für eine Frau wie sie.
Und doch eine lausige Bestimmung. Eine politische Ehe. Zweckmäßig, um neben einem Mann zu stehen. Wenn neben, hinter oder unter, und Ehe, in dem Falle einen Menschen gleichgesetzt dem ‚Objekt‘ meint. Das Objekt der Begierde von einem Mann mit mehr Macht. So viel Macht, dass er den Wert eines anderen bestimmen konnte.
Susann verstand dies. Sie befand sich physisch dazu in der Lage, all Geschehenes rational so zu bewerten, als schaue sie auf das Geschehen herab. So als stünde sie ganz oben auf dem Balkon und sehe von dort auf ihr winziges Ich herab. Und auf den eben so kleinen Gatten und seine Taten.
Sicherlich verstand sie das Unrechte. Wie auch nicht, so maß sich hier schließlich ein Geschöpf wie sie an, sich über sie zu stellen. Ganz und gar scheußlich, Gotteslästerung, moralisch verwerflich. Ha! Moral und Ethik, ja die kannte er. Benutzte er, um es zu erklären, seine Verbrechen. Es war doch lachhaft. So fern sie etwas tat, was ihm missfiel, musste sie flehen, sich unterwerfen, sich entschuldigen. Seine Missetaten waren nicht zu entschuldigen, sie waren lediglich zu erklären. Das war genügend.
Ach ja Moral, unser aller Verständnis über das Rechte und Schlechte. Über die Taten von Engel überschaut und die von Teufel geführt.
Schwachsinn, alles Schwachsinn. Gab es ihn denn, den Schlechten, der sie jedesmal überkam, so wenn sie ihrem Mann ins Wort fiel.
Immer wieder schrie er es ihr entgegen, wie seine Handfläche ihr Gesicht traf. Sie solle stark sein, die Prüfung bestehen.
Sie blinzelte die Tränen in ihren Augen zurück. Auf das Gras gesunken.
Ja, der Mann, das menschliche Geschöpf, welches ihr überlegen sein sollte. Das starke Geschlecht, welches über dem ihren das Recht hatte zu thronen. Ihr Mann, welcher ihr steht’s zu verstehen gab, sie sollte es besser wissen. Und dabei unterlag er ihm völlig. Hatte sich dem Teufel hingegeben wie eine niederträchtige Hure. Es war so lachhaft wie widersprüchlich.
Aber das alles war vorbei. Für ihn war es zu spät. Mag sein, dass ihm die Kirche wie die Gossenhunde zu Füßen lag, doch deren geschaffener Gott hatte sie in dem Moment unbekümmert zurückgelassen, als Sie sich erhob. Sie die Stimme des Volkes.
Nicht mehr fragend, oder flehend. Nicht mehr hoffend darauf, gehört zu werden von jemandem wie ihrem Gatten.
Nein wie herrlich ihre Schreie erklangen. Wut erfüllt, von Gewissheit und Siegestrunkenheit eingenommen, erschallt sie bis zu Susann herunter.
Seufzend erhob sie sich. Auf zitternden Beinen schleppte sich ihr Körper vor. Ihr überleben war wahrscheinlich, schließlich hatte sie mit gesprochen, gewirkt. Wenn auch im Hintergrund.
Ihr Gatte hatte recht gehabt. Sie war dem Teufel, so fern es ihn gab, verfallen. Doch nicht das umgangssprachliche Böse hatte sie gleitet. Nein, Susann hatte ihre Hand dem  Prüfer hingehalten und er hatte sie nicht einmal eines Blickes gewürdigt.
Sie hatte den Höllenfürst regelrecht angesprungen, hatte ihre Arme um ihn geschlungen. Wenn der Gott ihres Mannes sie mit der selben Arroganz strafte wie der Gatte ihre Existenz als ebenbürtige Kreatur. So solle er mit ihm brennen.
Siegessicher und von Hass trunken, drehte sie sich auf zitternden Beinen zu dem Anwesen zurück. Zu diesem so ungeheuer großen Gebäude, welches nur für ihn gestanden hatte. Gewaltig und doch so gering im Vergleich zu seinem egozentrischen Wahnsinn.
Susann hatte sich nie damit beschäftigt, wie eine Seele aufgebaut war, doch in dem Moment flüsterte ihr animalischer Verstand. Sie hoffte, dass eine Seele von Bedürfnissen beschwert wurde. So sehr, dass es ihr unmöglich wurde aufzusteigen.
Ihr Gatte hatte immer im Glauben gelebt, er könne keine Fehler begehen. Sie wusste, dass er sich getäuscht hatte, seiner war es, Ende des 18. Jahrhunderts ein Mann seines Standes zu sein.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Vincent S., 17 Jahre