Ein Teil von mir

von Laramarie D., 19 Jahre

Ich fliege über einen Ozean. Das erste Mal alleine. Bald landen wir, dann bin ich 48 Stunden wach und auf der anderen Seite der Welt.
Morgen treffe ich meine Freundin, die ich fast ein halbes Jahr kenne. Sie ist dort schon seit zwei Monaten und ich besuche sie für die letzten zwei Wochen.
Beim Check-in hat er mir einen Fensterplatz gegeben und jetzt kann ich von der Schönheit der Weite nicht wegschauen.
Der Boden besteht aus blau-weißen Wellen, die sich in einem Muster so weit unter mir befinden, dass sie sich scheinbar gar nicht bewegen. Die vereinzelten, rosa weißen Wolken ein Stück unter mir werfen schwarze Schatten aufs Wasser und lassen mich beinahe das Dröhnen der Drüsen des Flugzeuges vergessen.
So nah war ich dem Himmel und damit ihr (auch wenn ich nicht wirklich daran glaube) noch nie.
Ich wünschte, ich könnte Costa Rica für immer aus 10000 Meter Höhe anschauen. Die Berge und Täler, mal grün bewachsen, mal nur mit bronzenem Sand bedeckt und nirgends sind Zivilisationsstrukturen zu sehen.

Nach elf Stunden stehe ich das erste Mal wieder auf etwas wackeligen Beinen und bewege mich langsam mit den Menschen aus dem Flugzeug. Weder das nur langsam vorankommen, die Hitze oder mein müder Körper machen mir was aus. Ich bin so glücklich, es gleich alleine geschafft zu haben. Bald kann ich meine Freundin wieder umarmen. Dann bin ich nicht mehr alleine.

Am späten Nachmittag komme ich im Hostel an, kann nichts von den Informationen aufnehmen, die mir über das Hostel gegeben werden und schlafe gleich in meinem Bett ein. Um vier Uhr morgens kann ich nicht mehr schlafen, gehe duschen, Top und Shorts anziehen und Sonnencreme auftragen. Besonders creme ich mir die Stelle an meinem Schlüsselbein ein, mein erstes Tattoo. Zum Frühstück kaufe ich mir Reis, Bohnen und den leckersten Kaffee, den ich je getrunken habe.
Und dann geht es weiter.
Nach einer drei Stunden Busfahrt bin ich bei meiner Freundin.
Ich bringe schnell meine Sachen in das Hostel, in dem auch meine Freundin ist und wir laufen durch die kleine Stadt, bummeln durch Läden und an dem schönsten Strand entlang, den ich je gesehen habe. Wir kaufen hier eine Kokosnuss, um dann den Sonnenuntergang anzugucken. Meine Freundin hat schon, als ich noch zuhause war, von den Sonnenuntergängen hier geschwärmt, deswegen freue ich mich darauf.

Ich habe meine gekaufte Kokosnuss schon in der Hand, meine Freundin wird von dem netten, älteren Herren bedient, der auch mich bedient hat.
Vor mir steht er, lehnt neben dem Verkäufer am Stand.
Sein Gesicht ist viel zu nah an meinem und er schaut nicht weg.
Seine Lippen spitzen sich immer wieder, er schnalzt, gibt Kussgeräusche von sich und seine Augenbrauen wippen auf und ab. Ich höre seine Stimme “Hola” sagen und noch etwas auf spanisch, was ich nicht verstehe. Aber ich gebe ihm keine offensichtliche Aufmerksamkeit. Ich hasse, dass ich nichts mit meiner Wut gegen ihn mache, meine Freundin will das nicht.
Mein Körper wird kalt. Hat er gerade Bella gesagt? Ich drehe meinen Kopf mit meinem verkrampften Nacken langsam zu ihm. Er schaut nicht mich an, sondern mein Schlüsselbein, auf dem ihr Wort steht.
Ich kann nicht weiter denken und verliere, wo ich bin. Ich sehe meine Mutter in einem Bett, erschlafft noch halb sitzend. Ich halte ihre Hände in meinen, mein Gesicht ist ganz nah vor ihrem, so kann sie mich vielleicht sehen. Ihre müden Augen öffnen sich langsam, sie schauen in meine mit immer mehr Wärme. Ihre so klein gewordenen Mundwinkel wandern langsam ein Stück nach oben und sie flüstert, nur für mich zu hören “meine Bella” und hört auf, sich zu bewegen.

Die Hand meiner Freundin ist in meiner. Ich atme so schnell. Wir gehen.

Ich werde immer weiter gehen, auch wenn wir gerade sitzen und den Sonnenuntergang angucken, weiß ich, ich werde immer weiter gehen, immer weiter machen. Für sie.
Sie hat mir so viel gezeigt und beigebracht und auch wenn meine Mutter nicht mehr hier ist, bleibt sie immer bei mir. Sie ist ein Teil von mir. Ein wunderschöner Teil, der nur mir gehört.

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